Zugang zu Innovation beschleunigen
Zum Wohle der Patienten
Dr. René Buholzer |
In der Schweiz leben wir heute länger und besser, auch weil die Bevölkerung von innovativen Arzneimitteln profitiert und sie Zugang zu einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung hat. Die Pharmabranche trägt in hohem Maße zu dieser Qualität bei, und die Schweiz bietet innovativen Pharmaunternehmen traditionell attraktive Rahmenbedingungen.
Herausforderungen wie die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf das Gesundheitswesen fordern jedoch alle Anspruchsgruppen, und die Standortattraktivität ist von vielen Seiten unter Druck. Damit die Schweiz auch noch 2030 einer der weltweit führenden Pharmastandorte sein und von hochwertigen, nachhaltig finanzierbaren medizinischen Innovationen sowie dem Beitrag der Pharmaindustrie zu Wohlstand und Lebensqualität profitieren kann, braucht es eine gemeinsame Strategie sämtlicher Akteure. Mit den in ihrem Strategiebericht Pharmastandort Schweiz 2030 vorgeschlagenen Maßnahmen lanciert Interpharma die Diskussion über die Zukunft der Schweiz als Pharmastandort (Abb. 1).
Abbildung 1
Rasante Fortschritte in Forschung & Entwicklung
Das enge Zusammenwirken von Pharmabranche, Politik und Behörden ist besonders in Bezug auf den raschen und breiten Zugang zu innovativen Arzneimitteln gefragt – eine der aktuell dringlichsten Herausforderungen.
In den letzten Jahren hat die Forschung und Entwicklung mit neuartigen Therapieansätzen bahnbrechende Fortschritte geliefert, etwa im Bereich der Zell- und Gentherapien und Immunonkologie. Erkrankungen, die früher tödlich verliefen oder mit langwierigen schweren Einschränkungen verbunden waren, können heute wirksam behandelt oder gar geheilt werden. Die wissenschaftliche Entwicklung schreitet hier unverändert rasch voran, sodass Patienten und ihre Familien auf weitere Durchbrüche hoffen dürfen.
So positiv diese rasante Entwicklung ist, bringt sie doch auch neue Herausforderungen für alle Anspruchsgruppen, insbesondere für Sozialversicherungsträger wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die heutigen modernen Therapien werden in einer Vielzahl von Indikationen oder in Kombination mit anderen Arzneimitteln angewandt, entfalten ihre Wirkung bereits bei einer einmaligen Anwendung oder wirken zielgerichtet nur in einer bestimmen Patientenpopulation. Damit stößt das gegenwärtige System der Medikamentenvergütung an seine Grenzen, was zu einer zunehmenden Verzögerung in der Beurteilung neu zugelassener Therapien führt – und somit den Patienten länger den Zugang verwehrt.
Handlungsbedarf beim Vergütungsprozess
Statistiken von Interpharma zeigen, dass für rund 30 % der seit 2016 beim BAG eingereichten Dossiers noch keine Lösung für die Vergütung gefunden wurde. Obwohl die entsprechende Verordnung1) eine Frist von 60 Tagen vorgibt, dauerte es 2018 im Durchschnitt (Median) 162 Tage, bis von Swissmedic zugelassene neue Therapien2) in die Spezialitätenliste (SL) aufgenommen und somit von der Grundversicherung vergütet wurden. Die Folge sind für alle Beteiligten aufwendige Kostengutsprachegesuche im Einzelfall3) und damit verbunden die Frage der Zugangsgerechtigkeit. Diese fortschreitende Verschlechterung der Situation lässt sich auch im internationalen Kontext beobachten: In Bezug auf den Zugang zu neuen Krebsmedikamenten ist die Schweiz ins Mittelfeld abgerutscht. Diese Zahlen sind nicht nur schlecht für die Patienten, sondern senden zusätzlich ein negatives Signal für den Innovations- und Forschungsstandort Schweiz.
Diese inakzeptable Situation gilt es dringend zu verbessern und den gleichberechtigten Zugang zu neuen (medizinisch) unentbehrlichen Behandlungsmöglichkeiten zu beschleunigen. Unsere gemeinsame Ambition sollte es sein, den Zugang zu einer potenziell lebensrettenden innovativen Therapie am Tag der Marktzulassung durch Swissmedic herzustellen. Während die Leistungserbringer und Swissmedic sich aktiv bemühen, ihre Prozesse konsequent auf den technologischen Fortschritt auszurichten, besteht dringender Handlungsbedarf bei der SL-Aufnahme. Wir müssen deshalb dem BAG für den Vergütungsprozess moderne Werkzeuge und Expertise für die Nutzenbewertung zur Seite stellen.
Vorgeschlagene Maßnahmen
Interpharma hat für die Anpassung des Vergütungsprozesses einen Vorschlag basierend auf folgenden Kernelementen ausgearbeitet, den wir gerne zur Diskussion stellen:
Der Standardprozess wird mit einem beschleunigten Zugang für innovative Therapien mit dringendem medizinischem Bedarf ergänzt. Für diesen Prozess qualifizieren sich nur Therapien, die bereits in ein beschleunigtes Programm von Swissmedic oder einer anderen anerkannten Arzneimittelbehörde aufgenommen wurden.
Ein frühzeitiger Dialog zwischen dem BAG und den Herstellern ermöglicht es dem BAG, rechtzeitig die notwendigen Ressourcen zu planen. Dank der frühen Einreichung des SL-Aufnahmedossiers, kurz nach der Einreichung bei Swissmedic, wird im Vergleich zum heutigen Prozess wertvolle Zeit zugunsten der Patienten gewonnen.
Ein fallbezogenes Fachexpertengremium, in welchem die relevanten Stakeholder eingebunden sind, beurteilt, ob ein dringender Bedarf für die Therapien besteht und unterstützt ähnlich dem Swissmedic-Prozess das BAG fachlich bei der Beurteilung.
Flexible Vergütungsmodelle sollen Unsicherheiten (Kosten, Datenlage, Ansprechraten, Patientenzahlen usw.) im Rahmen der Markteinführung innovativer Therapien adressieren. Die verschiedenen Modelle werden gemeinsam mit dem BAG, Krankenkassen und der Industrie erarbeitet und mittels einer zeitlich befristeten Patientenzugangsvereinbarung zwischen dem BAG und den Herstellern umgesetzt.
Der Prozess hat verbindliche Fristen und eine vordefinierte Eskalationsstufe.
Wir sind überzeugt, dass ein auf Basis der oben aufgeführten Prinzipien optimierter SL-Aufnahmeprozess den Innovationszugang nachhaltig verbessern kann. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Pharmaindustrie bereit, relevante Informationen mit den Zulassungsbehörden bereits zu einem frühen Zeitpunkt zu teilen, die Erstattungsanträge rasch einzureichen und mittels Vergütungsmodellen wie Pay for Performance die Unsicherheiten einer frühen Zulassung zu reduzieren.
Es ist höchste Zeit, diese Herausforderung in einem konstruktiven Dialog mit allen interessierten Kreisen zu diskutieren, auszuarbeiten und zügig umzusetzen, zum Wohle der Patienten und des Innovationsstandorts Schweiz.
Verweise
1) | Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) Art. 31b. |
2) | Neue aktive Substanz (NAS) und neue Indikation (GÄL & IND). |
3) | Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) Art. 71a-d. |