Höchste Zeit für Deregulierung
Dr. Kai Joachimsen |
Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Die gesundheitspolitischen Herausforderungen werden 2020 nicht weniger, sondern eher mehr. 2019 sind die politischen und regulatorischen Anforderungen an die Industrie sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene enorm gestiegen und sie wachsen ständig weiter. Beispiele für die Überregulierung sind Zwangsmaßnahmen wie das Preismoratorium oder auch die Rabattverträge, die in ihrer aktuellen Form Lieferengpässe begünstigen. Insgesamt steigt das Tempo der gesundheitspolitischen Gesetzgebung sowohl in Europa als auch in Deutschland. Zudem gibt es große Herausforderungen wie die Digitalisierung, den Klimawandel und Handelskonflikte. In dieser Gemengelage ist es wichtig, die Kräfte der Industrie nachhaltig zu bündeln und deshalb freut es mich, dass wir als Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) für 2020 zusammen mit dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) eine Fusion anstreben. Damit wollen wir einen starken, gemeinsamen Verband schaffen, der 90 % der in Deutschland tätigen pharmazeutischen Unternehmen vertritt. Das Ziel der Fusion ist u. a. eine Bündelung der Ressourcen zur Vertretung der Interessen der Industrie in ihrer gesamten Breite.
Standortstärkung muss Priorität haben
Wir werden die breite Palette der Arzneimittel vertreten, die Menschen in Deutschland benötigen. Forschung und Innovation wird dabei ein zentraler Bereich der Verbandsarbeit bleiben. Denn hier gibt es von der Zulassung neuer Therapien über die frühe Nutzenbewertung bis hin zu innovativen Erstattungsmodellen zahlreiche Zukunftsfragen zu klären. Wie z. B. soll eine Gentherapie für ein Orphan Disease, also eine seltene Erkrankung, die in Deutschland 50 Patienten betrifft, durch unsere Systeme gebracht werden? Wie schaffen wir diesen Spagat zwischen Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), niedergelassener Bereich, Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)? Wie gelangt das in die Versorgung? Hier liegen zukünftig viele Aufgaben vor uns. Wir brauchen aber auch einen geschützten Raum für Medikamente, die schon in der Versorgung sind und beständig weiterentwickelt werden. Wenn Patienten mit z. B. Schluckstörungen ihre Medikation in einer besseren Galenik bekommen, verbessert das ihre Therapie und ihre Lebensqualität. Solche Innovationen müssen anerkannt und honoriert werden. Ich bin selbst auch Unternehmer gewesen und weiß daher, dass sie nur dann in Verbesserung der Produkte investieren, wenn sie eine Chance sehen, in irgendeiner Weise auch einen Return on Investment zu bekommen. Dass Deutschland schon lange nicht mehr die Apotheke der Welt ist, ist klar. Aber wir sind mit unserer Vielfalt an Präparaten immer noch spitze. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, wie wir den Patienten hierzulande auch weiterhin eine bestmögliche Versorgung anbieten können. Die Antwort hat viel damit zu tun, wie sehr es im Interesse der Politik liegt, den Pharmastandort Deutschland bzw. Europa zu stärken.
Anbietervielfalt hilft der Versorgungssicherheit
Neben innovativen Arzneimitteln sind auch bekannte Wirkstoffe im generischen Markt für die Versorgung von entscheidender Bedeutung. Dass hier einiges im Argen liegt, hat nicht zuletzt die 2019 besonders heftig geführte Debatte um Lieferengpässe gezeigt, die sich auch als Versorgungsengpässe auswirken. Die Zunahme von derartigen Engpässen hat neben globalen Gründen ganz klar damit zu tun, dass wir in Deutschland einen staatlich völlig überregulierten Arzneimittelmarkt haben, der den standortorientierten Unternehmen die Luft zum Atmen nimmt. Die Probleme sind v. a. politisch hausgemacht, insbesondere – das haben wir immer wieder angemahnt – durch Rabattverträge und den damit erzeugten Preisdruck. Solange Krankenkassen die Preise von Medikamenten bis in den Cent-Bereich pro Tagesbehandlung drücken können, wird die Versorgung der Patienten gefährdet. Es lässt sich nicht leugnen, dass durch die Vergabe von exklusiven Rabattverträgen der Krankenkassen der Preisdruck auf die Hersteller massiv gestiegen ist. In der Folge ist seit Einführung der Rabattverträge eine drastische Zunahme der Marktkonzentration zu beobachten. Vor allem bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen, für die kein therapeutisch gleichwertiger Ersatz zur Verfügung steht, ist die mangelnde Anbietervielfalt für die Patienten spürbar, wenn es über Liefer- zu Versorgungsengpässen kommt. Bei Exklusivität und Ausfall des einen Herstellers gibt es dann nämlich oft gar keinen Ersatz. Unterlegene Mitbewerber werden mangels Zuschlägen über kurz oder lang aus dem Markt aussteigen. Diese Situation führt nicht nur bei Patienten zu erheblichen Therapieeinschränkungen, sondern auch zu enormen Kosten. Hier gegenzusteuern und die Rabattverträge im Sinne der Versorgungssicherheit neu zu gestalten, ist auch 2020 eine der wichtigsten Aufgaben des Gesetzgebers. Denn nachhaltige Versorgungssicherheit hat angesichts globaler Unsicherheiten eine strategische Bedeutung.
Nachhaltigkeitsstrategie mit Augenmaß verfolgen
Ein entscheidendes gesamtgesellschaftliches Thema unserer Tage ist der nachhaltige Schutz der Umwelt. Hier trägt auch die pharmazeutische Industrie Verantwortung. Der BPI macht sich deshalb in einer Vielzahl von Initiativen für die Minderung des Spurenstoffeintrags stark. Auf Bundesebene ist die pharmazeutische Industrie Mitglied beim Stakeholder-Dialog Spurenstoffstrategie des Bundes aktiv. Wir setzen uns für einen bewussteren Umgang, eine sachgerechte Anwendung und die korrekte Entsorgung von Arzneimitteln ein, um die Belastung von Gewässern durch sog. Spurenstoffe zu verringern. Künftige Umweltstrategien im Arzneimittelbereich müssen immer mit Augenmaß verfolgt werden. Sie dürfen kein Hindernis für die Forschung, Zulassung und Aufrechterhaltung der Zulassung eines Arzneimittels darstellen. Und sie dürfen die Therapietreue des Patienten nicht gefährden. Ein weiteres wichtiges Feld der Gegenwart und Zukunft ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Hier gilt es, etwa beim Datenzugang für Unternehmen oder bei Gesundheits-Apps praktikable Lösungen zu finden, die die Vorteile für die Patienten im Blick haben. Die pharmazeutische Industrie steht in den Startlöchern, um mit neuen Modellen die Versorgung zu verbessern. Es liegt im ureigensten Interesse der Unternehmen, dass Medikamente wirken. Mit digitalen Therapeutika können Patienten bzgl. ihrer Compliance unterstützt werden. Digitale Therapieunterstützungen, die von der pharmazeutischen Industrie entwickelt werden, bieten hier über das bloße Arzneimittel hinaus individuelle Therapiekonzepte aus einem Guss, die Patienten und Ärzten den Alltag erleichtern können. Viele digitale Angebote werden gemeinsam mit Ärzten entwickelt, damit sie sich nahtlos in den Praxisalltag integrieren und die Adhärenz unterstützen. Hier kommen spannende Zeiten auf uns zu.
Wenn ich mir 3 Dinge für das neue Jahr wünschen darf, dann sind es: Echte Deregulierung, fairer Wettbewerb und keine Regelungen zulasten Dritter. Das heißt auch: Faire Bedingungen, Planungssicherheit und Transparenz, um bei Entscheidungen die Chance zu haben, unsere Expertise im guten, sachlichen und zielorientierten Austausch mit allen Beteiligten, die in der Gesundheitsversorgung tätig sind, zu teilen und gehört zu werden. Wir wirken an der bestmöglichen Versorgung der Menschen aktiv mit. Das werden wir auch 2020 mit ganzer Kraft tun.
pharmind 2020, Nr. 1, Seite 3