Referenzpreissystem bei Medikamenten
Nationalrat lehnt Referenzpreissystem bei Generika ab
Dr. Axel Müller |
2020, das Jahr der Corona-Pandemie, hat uns allen die Wichtigkeit eines funktionierenden Gesundheitssystems und die nationale strategische Bedeutung einer gesicherten Medikamentenversorgung eindrücklich vor Augen geführt. Und gerade in der Schweiz, wo wir uns seit Jahren mit sich zunehmend verschärfenden Lieferengpässen bei z. T. lebensnotwendigen Medikamenten konfrontiert sehen, sind wir als kleines Land bei der Medikamentenversorgung auf internationale Zuteilung angewiesen. Wenn es wie gerade in diesem Jahr zu Produktionsausfällen kommt, bekommen die Abnehmer dies unmittelbar zu spüren. Bis jetzt hatten wir aufgrund fairer Preise noch gute Chancen, bei Lieferengpässen einen Zuschlag zu erhalten. Sollten die Preise aufgrund des anhaltenden Preisdrucks hierzulande weiter erodieren, würde das unsere Position im internationalen Beschaffungsmarkt empfindlich verschlechtern. Ein Szenario, vor dem wir bei Intergenerika zusammen mit den Partnern der Allianz „Nein zu Referenzpreisen bei Medikamenten“ seit Jahren eindringlich warnen. Doch es gibt eine Reihe weiterer Argumente gegen ein Referenzpreissystem: Die Allianzpartner – allen voran Ärzte, Apotheker und Patientenvertreter – sehen die Patienten als die großen Verlierer eines Systemwechsels. Eine wachsende Unsicherheit aufgrund dauernder Medikamentenumstellungen und Zuzahlungen in der Apotheke würden die Patientinnen und Patienten erheblich belasten. Aus gutem Grund also hat die Allianz das Kostendämpfungspaket des Bundesrats, welche das Referenzpreissystem für Medikamente enthält, von Beginn an entschieden abgelehnt und hat im Verlauf des Jahres 2020 zusätzliche Unterstützung von führenden Krankenkassen erhalten, was als großer Erfolg zu bewerten ist.
Politische Etappenerfolge der Referenzpreisgegner
Nachdem Ende Aug. schon die Gesundheitskommission des Nationalrats (SGK) mit 16 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung gegen das Referenzpreissystem stimmte, sprach sich auch der Nationalrat in der Herbstsession mit 123 zu 50 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen den Vorschlag des Bundesrats aus. Der Abstimmung vorausgegangen war ein von den Referenzpreisgegnern gemeinsam verfasstes Schreiben an den Nationalrat, in dem sie einen Alternativvorschlag zum Referenzpreissystem unterbreiteten. Der Vorschlag enthielt eine Reihe von Punkten, welche eine schnellere Lösung für Sparmaßnahmen im Medikamentenbereich in Aussicht stellten: (1) Senkung der Fabrikabgabepreise durch strengere Regeln zur Preisfestsetzung bei Generika und Biosimilars auf Verordnungsstufe gemäß Nationalrat Thomas de Courten in der SGK-N: Stärkung der Biosimilars, Veränderung der Preisabstände zwischen Originalpräparat und Generikum um 5 % und Überprüfung der Aufnahmebedingungen in die Spezialitätenliste (SL) jährlich statt alle 3 Jahre. (2) Schaffung eines preisunabhängigen Vertriebsanteils zur raschen Beseitigung der aktuellen Fehlanreize. (3) Erhöhung der Generika- und Biosimilarpenetration durch Schaffung von entsprechenden Anreizen in Tarifverträgen mit der Apotheker- und Ärzteschaft. Diese Maßnahmen würden eine Reihe von Vorteilen nach sich ziehen: (1) Deren Umsetzung wäre vollständig auf Verordnungsstufe möglich, also viel schneller und ohne ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren mit einer möglichen Referendumsabstimmung. Außerdem wäre die Regelung auf Verordnungsstufe ordnungspolitisch korrekt und verhältnismäßig. (2) Die resultierende Stärkung der Tarifpartnerschaft würde die Leistungserbringer und Krankenversicherer stärker in die Versorgungsverantwortung bei gleichzeitiger Kostenreduktion einbinden. (3) Die für die Versorgungssicherheit maßgebende Angebotsvielfalt an Arzneimitteln würde gestützt. (4) Die umfassende Beseitigung der Fehlanreize ist effektiver als die Einführung eines Referenzpreissystems gemäß bundesrätlichem Vorschlag und erreicht Kostensparziele zugunsten aller Prämienzahlenden nachhaltig.
Führende Medien und Journalisten hinterfragen Referenzpreissystem
Im Hinblick auf die bevorstehende Entscheidung durch das Parlament und angesichts der sich im Zuge der anhaltenden Coronakrise weiter zuspitzenden Versorgungsprobleme bei Medikamenten schalteten sich respektierte Medien und Journalisten in den Diskurs mit ein. Mit seinem Bericht „Das Dilemma bei den Preisen: Sind Generika zu günstig, lohnt sich die Herstellung nicht mehr – das darf nicht passieren“ hinterfragte Andreas Möckli von CH-Medien den Systemwechsel: „Es stellt sich die Frage, ob gerade jetzt der Moment für einen solchen einschneidenden Systemwechsel gekommen ist. Schon vor der Coronakrise gab es zahlreiche Engpässe an Medikamenten. Die Situation hat sich nun nochmals verschärft. Bereits gibt es zahlreiche Originale, für die es keine Generika gibt, obwohl deren Patent abgelaufen ist. Zudem ist die Gefahr gross, dass nationale und internationale Player Generika vom Markt nehmen, wenn die Preise stark sinken.“ Möckli spricht sich in dem Artikel zudem gegen den Vorschlag der Referenzpreis-Befürworter aus, der noch weitergeht als der Bundesrat und ein stärkeres Drücken der Generikapreise auf das Niveau im Ausland vorsieht. „Die Umsetzung dieses Vorschlags erscheint als zu riskantes Spiel. Zumal ein zweiter Vorschlag vorliegt, der ebenfalls Einsparungen bei den Generika vorsieht, wenn auch im geringeren Ausmass. Absender ist SVP-Nationalrat Thomas de Courten, der Präsident von Intergenerika ist – und damit natürlich verdächtig. Doch ihm ist es gelungen, eine einigermassen breite Allianz hinter sich zu scharen. Neben den Ärzten sind auch fünf gewichtige Krankenkassen mit an Bord, vier davon sind im Verband Curafutura zusammengeschlossen. De Courtens Vorschlag ist auch deshalb zu begrüssen, weil die Gegner eine giftige Pille in sein Paket eingebaut haben. Diese wollen einen Teil der Generika ausnehmen. Es handelt sich dabei um günstigere Nachahmerpräparate von biotechnologisch hergestellten Medikamenten (Biosimilars). Gerade hier lässt sich künftig Geld sparen. Es geht dabei etwa um teure Krebsmedikamente. Das Sparpotenzial wird auf mehrere Hundert Millionen Franken geschätzt.“ Andreas Möckli kommt denn auch zum Schluss: „So gesehen ist der Vorschlag des Teams de Courten mit Blick auf die Versorgungssicherheit die bessere Variante. Auch wenn damit weniger Geld gespart werden kann.“
Nationalrat entscheidet gegen Referenzpreissystem bei Generika
Letztlich entschied sich der Nationalrat wie eingangs schon erwähnt klar gegen ein Referenzpreissystem bei Generika. In der offiziellen Verlautbarung vom 29.10.2020 hieß es: „Gefolgt ist die Mehrheit des Nationalrats aber schliesslich der Mehrheit der vorberatenden Nationalratskommission, die anstelle des Referenzpreissystems zwei Alternativen vorschlug, die darauf abzielen, erst einmal mehr Generika zu verkaufen und die Preise moderat zu senken. Die entsprechenden Vorstösse sehen vor, einerseits Anreize abzuschaffen, die für den Verkauf von Generika hinderlich sind. Andererseits sollen Apothekerinnen und Apotheker künftig leistungsorientiert abgegolten werden. Heute ist es so, dass Apotheker und Ärztinnen mehr daran verdienen, wenn sie Originalpräparate abgeben anstelle von Generika.“
2021 mit Abstimmung des Ständerats
Mit großer Erleichterung haben wir bei Intergenerika und der Allianz den Entscheid des Nationalrats begrüßt. Vernunft und Weitblick haben sich durchgesetzt. Versorgungssicherheit und hohe Behandlungsqualität unserer Patienten mit Generika gaben den Ausschlag. Nachdem diese zentralen politischen Hürden erfolgreich genommen worden sind, hoffen wir auf einen Entscheid des Ständerats – das politische Gremium, welches die Kantone repräsentiert – im Sinne des Nationalratsentscheids. Mit der definitiven Ablehnung eines Referenzpreissystems bei Medikamenten würden Schweizer Patientinnen und Patienten vor großen Belastungen und Problemen bewahrt bleiben. Abschließend gilt es festzuhalten, dass Intergenerika weiterhin mit vollen Kräften die gebotenen Sparbemühungen im Gesundheitssystem unterstützt und mit Generika und Biosimilars jährlich einen wachsenden Sparbeitrag in Milliardenhöhe leistet.
pharmind 2021, Nr. 1, Seite 10