Der Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht medizinischen Fortschritt
Han Steutel |
Innovative Unternehmer schauen derzeit sehr genau darauf, wie in Deutschland und Europa mit Unternehmergeist und Patentschutz umgegangen wird. Klar ist: Ohne den Patentschutz hätte es niemals so schnell erste zugelassene COVID-Impfstoffe gegeben. Die forschenden Pharma-Unternehmen haben in Rekordzeit Impfstoffe gegen COVID-19 entwickelt, sie zur Zulassung gebracht und deren Großproduktion aufgebaut. Jetzt bauen sie die Produktion immer weiter aus und knüpfen ständig wachsende Produktionsnetzwerke. Damit liefert unsere Industrie entscheidende Beiträge im Kampf gegen die Pandemie.
Die schnelle Entwicklung der Impfstoffe beruht teilweise auf jahrzehntelanger Vorarbeit. Es waren vor allem private Geldgeber und Unternehmen, die dabei ins finanzielle Risiko gegangen sind, um wissenschaftliche Erkenntnisse weiterzuentwickeln und neue Technologien zur Marktreife zu bringen. Sie taten dies mit der Aussicht, dass ihre Investitionen die Chance bekommen, sich zu amortisieren. Und dies wird ermöglicht durch den Schutz des geistigen Eigentums über Patente. Eine Aufhebung von Patenten sorgt nicht dafür, dass auch nur eine einzige Dosis Impfstoff schneller zur Verfügung steht. Wahrscheinlich wäre sogar das Gegenteil der Fall, denn das notwendige Know-how für die anspruchsvolle Impfstoffproduktion erwirbt man nicht mal eben nebenbei – im Umkehrschluss würden die Originalhersteller keinen Anreiz mehr haben, sich an einer schnellstmöglichen weltweiten Versorgung mit Impfstoffen zu beteiligen.
Ein neuer Schub für den Pharma-Standort Deutschland
Die Produktion der benötigten Impfstoffmengen hat dennoch einige Zeit in Anspruch genommen. Weltweite Produktionskapazitäten, das vor Ort benötigte Know-how der Fachkräfte, Kühlgeräte und einzelne hochtechnologische Bestandteile für die Herstellung des Serums – all das ist eben nicht unbegrenzt verfügbar. Das Haupthindernis, um die Welt schnell mit mehr Impfstoff zu versorgen, ist die anspruchsvolle Herstellung in sicheren Anlagen. Und diese können nicht über Nacht auf der grünen Wiese errichtet werden. Die Impfstoffproduktion kann schlicht nicht auf Knopfdruck angekurbelt werden. Sie kann aber durch Kooperation – denn das ist das entscheidende Stichwort – optimiert und ausgebaut werden. Genau das passiert gerade, z. B. in Wuppertal, in Marburg, in Frankfurt, in Tübingen, in Dessau, in Reinbeck und in Halle sowie weltweit an vielen weiteren Orten. Der Erfolg der mRNA-Technologie hat dem Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland einen neuen Schub gegeben. Die Stadt Mainz kann sich über zusätzliche Steuereinnahmen freuen. Sie will sich zu einem globalen Wissenschafts- und Biotechnologiestandort für die Krebs- und Altersforschung weiterentwickeln.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sog. 5 Wirtschaftsweisen, geht in seinem Jahresgutachten 2021/2022 für das Jahr 2021 von einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,7 % und für 2022 von 4,6 % aus. In dem Angebot von Impfstoffen sehen die Ökonomen eine wesentliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Erholung. Ohne die Innovationskraft der Pharma-Unternehmen hätte die deutsche Volkswirtschaft niemals so schnell wieder Tritt fassen können.
Der Koalitionsvertrag: Mehr Modernisierung wagen!
Das von der Ampel-Koalition beabsichtigte Vorziehen der Geltung des Erstattungsbetrags ist und bleibt unverständlich. Damit soll ein bisheriger Erfolgspfad des AMNOG verlassen werden. Bisher ist die sofortige Verfügbarkeit von Medikamenten für Patientinnen und Patienten ein hohes Gut des deutschen Gesundheitswesens. Innovative Arzneimittel werden ab Tag 1 der Markteinführung von den Krankenkassen erstattet. Gleichzeitig stellen sich die Medikamente dem AMNOG-Verfahren der Nutzenbewertung und Preisverhandlung. Mit diesen Erstattungsregeln werden die bestmöglichen Anreize für eine schnelle Markteinführung und Versorgung mit innovativen Arzneimitteln gesetzt – ein Markenzeichen deutscher Arzneimittelpolitik im internationalen Vergleich.
Deutschland ist für forschende Pharmaunternehmen bislang ein First Launch Country in Europa. Sie beantragen schnell eine europäische Zulassung für neue Medikamente und bringen sie direkt in Deutschland in Verkehr, weil hier Erstattung und freie Preisbildung zum Zeitpunkt der Markteinführung gesichert sind. Diese Ausgestaltung des AMNOG wird in den Konzernzentralen als wichtiger Faktor wahrgenommen, der auch auf die Zulassung und Verfügbarkeit von Arzneimitteln in Europa insgesamt positiv ausstrahlt. Deutschland belegt bislang den Spitzenplatz in Europa bei der schnellen Verfügbarkeit innovativer Arzneimittel.
Mit einer rückwirkenden Geltung des vereinbarten Erstattungsbetrages, wie von SPD, FDP und Grünen beabsichtigt, wird dieser wichtige Versorgungs- und Standortvorteil verloren gehen. Eine Rückdatierung von Rabattforderungen wird für die Unternehmen finanziell schwer kalkulierbare Risiken bedeuten und ihre Planungssicherheit erheblich beeinträchtigen. Unternehmen müssten prüfen, ob sie ihr neues Arzneimittel ggf. erst nach einem Jahr in Deutschland in Vertrieb geben, wenn der Erstattungsbetrag feststeht. Die Risiken für die Patientenversorgung liegen damit auf der Hand: Patienten bekommen innovative Medikamente erst später. Der vfa spricht sich nachdrücklich gegen einen solchen Eingriff aus. Der schnelle Zugang zu innovativen Medikamenten in Deutschland ist unbedingt zu erhalten. Die möglichen zusätzlichen Einsparungen für das GKV-System wären im Übrigen gering, da die Marktdurchdringung im ersten Jahr niedrig ist, die negativen Folgen für die Patientenversorgung in Deutschland und für den Pharmastandort Europa jedoch insgesamt groß.
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die forschende Pharmaindustrie für die Krisenbewältigung und Zukunftssicherung ist. Ein Kurswechsel beim Marktzugang wäre hier sicher das falsche Signal. Klar ist aber auch, dass ein Koalitionsvertrag nicht alles regeln kann. Deshalb setzen wir darauf, dass die Ampelkoalition in den kommenden 4 Jahren mehr Modernisierung wagen wird, als schriftlich fixiert wurde. Dabei liegt uns die Entbürokratisierung des komplizierten deutschen Gesundheitssystems besonders am Herzen.
pharmind 2022, Nr. 1, Seite 7