Buchbesprechungen
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Cannabis – Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis
Seit kurzem liegt dieses Werk vor, welches von Andreas S. Ziegler herausgegeben wird. Mit mehr als 30 Autoren werden alle relevanten Themen ausführlich und mit hoher Fachkompetenz abgedeckt. Dadurch erhält der Leser eine umfassende Darstellung zu dem aktuellen Stand bei Pflanze, Forschung und Therapie, (Arzneimittel-)Recht sowie zum Apothekenalltag. Am Ende jedes thematisch abgeschlossenen Kapitels findet der Leser eine Liste der zitierten Publikationen, wodurch ein für solch ein Kompendium sinnvoller einfacher Literaturabgleich erreicht wird. Nach der Lektüre des Buches hat der Leser ein großes Wissen erworben und kann nun auch die gern in der Laienwelt als „echtes Faktenwissen“ vagabundierenden Gerüchte schnell verifizieren oder als unwahre Geschichten erkennen.
Wer Cannabis „verstehen“ möchte, sollte sich mit der Biologie der Pflanze intensiver auseinandersetzen. Im Stile der klassischen Pharmakognosie werden im Kapitel zur Botanik Informationen zur Systematik und Morphologie gegeben. Dabei ergänzen präzise Abbildungen der bedeutenden Pflanzenteile die Beschreibungen der Pflanze, welche im Falle der Trichome auch mikroskopische Darstellungen in Bild und Zeichnung enthalten. Den Übergang zur Phytochemie bilden die Ausführungen zur Züchtung und Selektion, wodurch der Leser einen Einblick in die Chemotypen und deren Bedeutung für die relevanten Inhaltsstoffgruppen erhält. Detaillierte Ausführungen zu den Cannabinoiden und deren Biosynthesen, welche durch die ausgewählten Strukturformeln leicht nachvollziehbar sind, sowie zu Terpenen und den übrigen bedeutenden Sekundärstoffen komplettieren diesen Themenbereich. Dabei werden auch die Optionen für Syntheseverfahren bei einzelnen Cannabinoiden erwähnt.
Für die Bereitstellung hochwertiger Cannabis-Arzneidrogen wird heute der Indoor-Anbau bevorzugt. Dessen Charakteristika wie Qualitätsparameter, Steuerung der Pflanzenentwicklung und betriebswirtschaftliche Aspekte werden mit den alternativen Verfahren Gewächshaus und Outdoortechnik verglichen. Eine Gefahr bei allen Formen des Anbaus besteht im Befall mit Mikroorganismen, welcher den behördlich genehmigten Einsatz von radioaktiver Strahlung (Beta- oder Gammastrahlen) zur Reduktion der Mikroorganismen erfordert. Wie für alle Arzneidrogen bestehen auch bei Cannabis umfangreiche Anforderungen an die Qualität, welche mit den detailliert beschriebenen Untersuchungen zur Identität, Reinheit und Gehalt nachgewiesen wird. Das Vorgehen im Detail hängt vom Pflanzenteil und den aus ihm gewonnenen Zubereitungen ab, wobei auf vorliegende Monografien verwiesen wird. Die arzneimittelrechtlichen Regelungen wie GMP Teil I/GMP Teil II/GACP/GDP besitzen für die gesamte Lieferkette vom Anbauer über den verarbeitenden Betrieb und Großhändler bis zur Apotheke eine große Relevanz. Schließlich werden auch die Möglichkeiten, Extrakte und isolierte Inhaltsstoffe herzustellen sowie biotechnologische Optionen vom Verfahrensablauf bis zu Validierungsaspekten beschrieben.
Der medizinische Einsatz von Cannabis wird für die einzelnen Therapiegebiete unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten- und Studienlage vorgestellt, wobei auch eher unbekanntere Indikationen für Cannabis nicht unbeachtet bleiben. Für die Bewertung werden Kriterien der Evidenz herangezogen und gegebenenfalls auf eine (noch) nicht ausreichende Datenlage hingewiesen. Die einfache Nachvollziehbarkeit der Therapieansätze gelingt durch die gute und umfassende Vorstellung der den Cannabiseffekten zugrundeliegenden Pharmakologie mit Endocannabinoidsystem, Cannobinoidrezeptoren und Entourageeffekten. Bei jeder Therapie müssen auch mögliche Komplikationen beachtet werden. Deswegen werden auch Gegenanzeigen, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Wechselwirkungen sowie das Abhängigkeitspotenzial bei Cannabisgabe angesprochen. Es ist erschreckend zu lesen, welche Gefahren bei dem Genusskonsum gerade für junge Menschen drohen.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Cannabis erscheinen zunächst verwirrend und schwer verständlich. Für das Team in der Offizin, der Produktion und dem Großhandel aber auch in der Wissenschaft wird die tägliche Arbeit von Sorgen vor Kollisionen mit Arzneimittel-, Betäubungsmittel- und Strafrecht begleitet. In mehreren Kapiteln wird mit der hohen fachlichen Expertise der Autoren, u. a. aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Bundesopiumstelle, der Cannabisagentur und der GMDP-Überwachung, dieser Themenkomplex verständlich aufgearbeitet. Dazu zählen die Kapitel zu internationalen und europäischen Regelungen, den individuellen Rechtsverordnungen einzelner Staaten sowie zum Status quo bei dem Umgang mit Cannabis in Deutschland. So wird auch auf die unterschiedliche Sichtweise der Überwachungsbehörden einzelner Bundesländern in Hinblick auf die GMP-Kategorisierung von Cannabispflanzenbestandteilen zur pharmazeutischen Verwendung hingewiesen. Ebenso werden die rechtlichen Grundlagen für den Cannabiseinsatz bei Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln, Medizinprodukten, Kosmetika und Genussmitteln („Rauchen“) vorgestellt.
Der Arbeit in der Apotheke werden mehrere Kapitel gewidmet, welche das detaillierte Vorgehen in der Rezeptur inklusive Taxation, die betäubungsmittelrechtliche Dokumentation, Abläufe in der Abgabe und bei der Abrechnung (z. B. GKV, Kassenverträge) auch unter Abbildung von Beispieldokumenten und anschaulichen Schemata erklären. Hinweise zum Umgang mit Retouren oder bei Vernichtungen fehlen wie auch Empfehlungen für Patienten zum Handling mit Cannabis beim Reisen nicht. Selbst ein höchstrichterliches Urteil zu Cannabis und der Jagdbefugnis wird erwähnt. Da dürften keine Fragen mehr unbeantwortet bleiben …