Endlich Schluss mit Lieferengpässen – was politisch jetzt passieren muss!
Bork Bretthauer |
Was war das für ein Schock, als Anfang 2022 das Brustkrebsmittel Tamoxifen knapp wurde. Tausende Brustkrebspatientinnen mussten plötzlich um ihr Therapeutikum bangen – ein Mittel, das das Risiko verringert, dass der Krebs zurückkommt. Tamoxifen kann nicht durch ein anderes Arzneimittel ersetzt werden und ist für Ärztinnen und Ärzte seit vielen Jahren ein selbstverständliches Mittel im Kampf gegen den Brustkrebs.
Was war passiert? Mehrere Zulieferer, bei denen ein großer Teil der betroffenen Unternehmen Ware bezogen hat, hatten sich aus der Produktion zurückgezogen, weil diese für sie wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war. Andere Firmen konnten die Ausfälle für eine Weile überbrücken, ihre Bestände wurden jedoch schnell leergekauft.
Alternative Zulieferer zu finden, war aus verschiedenen Gründen nicht leicht. Und das lag u. a. daran, dass sich in den vergangenen Jahren immer mehr Hersteller auf allen Ebenen der Lieferkette aus der Produktion zurückgezogen haben.
Die Ursachen für den Tamoxifen-Engpass bestehen fort
Die Situation war brenzlig, doch zum Versorgungsengpass kam es am Ende glücklicherweise nicht. Das Gesundheitsministerium erleichterte die Einfuhr ausländischer Tamoxifen-Präparate und ein Generika-Unternehmen schob eine Sonderproduktion dieses so aufwendig herzustellenden Arzneimittels ein. Aufatmen sollte trotzdem niemand. Denn an der Ursache der Engpässe – der teils bedrohlichen Marktkonzentration auf dem Generikamarkt – hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Weil im Frühjahr 2022 ein weiteres Unternehmen die Produktion einstellte, sind es nunmehr nur noch 3 statt vormals 4 Firmen, die die Versorgung mit Tamoxifen in Deutschland sichern.
Der Rückzug von immer mehr Unternehmen aus der Versorgung ist ein Problem, das sich 2022 nicht nur bei Tamoxifen gezeigt hat, sondern das auch mitverantwortlich war für Engpässe bei Fiebersaft, Antibiotika und anderen Krebsmedikamenten.
Tatsache ist: Die Herstellung vieler Generika ist für die Unternehmen wirtschaftlich nicht mehr darstellbar. Ein dichtes Netz aus Kostensparinstrumenten hält die Preise für Arzneimittel, deren Patentschutz abgelaufen ist, seit vielen Jahren im Keller. Die aktuell explodierenden Kosten machen die ohnehin schon schmalen Margen zunichte. Wenn Posten wie Energie, Wirkstoff oder Verpackungsmaterial massiv teurer werden, die Erstattungspreise aber dieselben bleiben, wird die Produktion vieler Arzneimittel zum Minusgeschäft. Das zwingt die Hersteller dazu, sich aus dem Markt zurückzuziehen. Hat dann einer der letzten verbliebenen Unternehmen einen Engpass – etwa, weil Papier fehlt oder Verschlusskappen auf dem Weltmarkt nicht zu bekommen sind – ist kein anderer Hersteller mehr da, der einspringen und den Engpass überbrücken kann.
Ein Gesetz muss jetzt die Strukturen ändern
Die Bundesregierung hat das inzwischen verstanden. Sie will 2023 endlich ein Gesetz verabschieden, das die Versorgungssicherheit verbessert. Das ist gut und höchste Zeit. Denn die aktuelle Lage für die Generikaunternehmen ist dramatisch.
Wichtig ist jetzt, dass beherzte Strukturreformen erfolgen und nicht bloß kosmetische Korrekturen vorgenommen werden. Nur wenn wir die Rahmenbedingungen grundlegend ändern, können wir ein System schaffen, in dem Unternehmen auskömmlich produzieren und verlässlich versorgen können.
Für uns ist klar: Eine Reform des Festbetrags- und Rabattvertragssystems ist dringend geboten. Die Politik muss die dort angelegten Kostensparinstrumente lockern, damit sich die Versorgungslage entspannen kann. Erstes Ziel sollte sein, dass wieder mehr Hersteller in die Generikaproduktion einsteigen, denn nur sie sind in der Lage, die Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen.
Es muss endlich Schluss sein mit dem Hauptsache-Billig-Prinzip bei Generika. An seine Stelle muss das Dogma der sicheren Versorgung rücken. Derzeit bestraft unser System Unternehmen, die in resiliente und nachhaltige Lieferketten investieren. Denn: Mit einem entsprechend höheren Preis haben sie in Ausschreibungen keine Chance. Und eine Produktion zum Festbetrag ist auch nur möglich, wenn ein Unternehmen maximal effiziente Lieferketten hat. Das destabilisiert die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln und ist nicht länger hinnehmbar.
Was es braucht, ist eine stärkere Diversifizierung – also mehr Hersteller, eine größere Anzahl an Zulieferern und weniger Abhängigkeit von Ländern wie China und Indien. Dafür muss das neue Gesetz die Anreize schaffen und die Rahmenbedingungen setzen.
Generikaengpässe sollten bei Biosimilars warnendes Beispiel sein
Mit Blick auf die Biosimilars sollten uns die Lieferengpässe bei Generika einmal mehr wachrütteln. Eine automatische Substitution, wie sie gesetzlich für 2022 vorgesehen war und nunmehr für 2023 in Kraft treten soll, ist ein Irrweg und wirft folgende Frage auf: Wenn wir doch wissen und es gerade schmerzhaft erleben, wie die Entwicklung bei Generika verläuft, warum machen wir dann sehenden Auges den gleichen Fehler nochmal – und zwar bei den hochsensiblen Biopharmazeutika?
Bei den Biosimilars sehen wir derzeit ein gut funktionierendes System. Sie erzielen auch ohne automatische Substitution massive Einsparungen. In Wirkstoffmärkten, in denen es Biosimilars gibt, sinken die Preise. Das hat zur Folge, dass mehr Patientinnen und Patienten für teils geringere Kosten behandelt werden können. Gleichzeitig stehen die Biosimilars für maximale Versorgungssicherheit. Diese hat ihre Ursache nicht zuletzt in einer optimal diversifizierten Produktionslandkarte und einem starken Standort in Europa.
Gut ist, dass die automatische Substitution per Gesetz 2022 um 12 Monate verschoben wurde. Offenbar hat die Politik eingesehen, dass es zu viele und zu schwerwiegende Gründe gibt, die dagegensprechen. Fest steht aber: Diese Gründe werden 2023 nicht weniger gravierend sein. Insbesondere die automatische Substitution wird dann immer noch eine Gefahr für die Versorgungssicherheit sein.
Das Jahr 2023 ist eine Chance für die Versorgung in Deutschland
Nutzen wir also das Jahr 2023, um gegenzusteuern. Liefer- und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln, wie wir sie 2022 erlebt haben, sind eines Landes wie Deutschland nicht würdig. Wir – die Unternehmen und die Politik – sind es den Patientinnen und Patienten schuldig, dass sie sich darauf verlassen können, mit Arzneimitteln wie Tamoxifen und Fiebersaft sicher versorgt zu werden. Angesichts knapper Kassen ist es richtig und wichtig zu sparen. Generika und Biosimilars liefern dazu einen sehr großen und vollkommen unverzichtbaren Beitrag. Kaputtsparen aber sollten wir die Grundversorgung nicht. Denn wir sparen dabei – das hat uns das Jahr 2022 in brutaler Klarheit gezeigt – an nicht weniger als an der Gesundheit der Menschen in Deutschland.
pharmind 2023, Nr. 1, Seite 5