Navigieren beim Driften

Dorothee Brakmann · Pharma Deutschland e. V.
Dorothee Brakmann
Pharma Deutschland ist der größte Branchenverband der Pharmaindustrie in Deutschland und vertritt rund 400 Mitgliedsunternehmen. Neben globalen Pharmaunternehmen sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen gehören auch Apotheker, Rechtsanwälte, Verlage, Agenturen und Marktforschungsinstitute dazu. Die Mitglieder sichern die Arzneimittelversorgung in Deutschland, indem sie fast 80 % der rezeptfreien und 2/3 der rezeptpflichtigen Medikamente sowie einen Großteil der stofflichen Medizinprodukte bereitstellen.

Natürlich haben wir einen Plan für 2025! Doch seit dem Tag Anfang Nov. 2024, als wir mit dem Wissen um eine kommende neue US-Regierung aufgewacht sind und uns noch vor dem Zubettgehen klar wurde, dass wir bald eine neue Bundesregierung haben, muss einiges neu justiert werden.

Insofern ist fast alles in Bewegung geraten, muss fast alles neu justiert werden. Wir navigieren beim Driften.

Dennoch gibt es Fixpunkte: Am 12. Juni werden wir den ersten Geburtstag von Pharma Deutschland mit einem Sommerfest in Bonn feiern. Das macht Sinn, weil Pharma Deutschland mehr als ein alter Verband mit neuem Namen ist. Wir haben uns in den letzten Monaten inhaltlich breiter aufgestellt und sind lauter und politischer geworden. Dafür, dass wir uns auf den Weg gemacht haben, unsere Branche insgesamt besser erkennbar zu machen, bekommen wir viel Zuspruch.

Pharmastärken stärken

Die Pharmabranche ist schon lange eine Schlüsselindustrie. 2024 wurde sie stärker als in den Jahren davor auch als solche wahrgenommen. Das lag nicht nur an unserer gewohnt guten wirtschaftlichen Performance, sondern auch daran, dass andere deutschen Schlüsselindustrien an Stabilität verlieren oder – wie die Automobilindustrie – in sehr grundsätzlichen Schwierigkeiten stecken.

Zur gesteigerten Wahrnehmung hat aber nicht nur die vergleichsweis stabile Geschäftsentwicklung beigetragen. Auch die Pharmastrategie der Bundesrepublik hatte daran ihren Anteil. Deutlich wie lange nicht mehr wurde seitens einer Bundesregierung das Ziel formuliert, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Schlüsselindustrie Pharma verbessern zu wollen. Und vor allem mit dem Medizinforschungsgesetz zeigte die Ampelkoalition den klar erkennbaren Willen, dieses Ziel auch umzusetzen.

Jetzt, zum Jahresende 2024, ist ungewiss, ob eine neue Bundesregierung an dieser Strategie festhalten wird. Gerade in der Krise kann Stärken zu stärken durchaus das richtige Mittel sein, um mit der deutschen Wirtschaft insgesamt aus der Rezension zu kommen. Eine kluge Wirtschaftspolitik müsste die Pharmabranche jedoch nicht erst stark machen. Es wäre bereits ausreichend, uns nicht daran zu hindern, unsere Stärken für eine starke und florierende deutsche Wirtschaft zu nutzen.

Die EU muss jetzt liefern

Die Rahmenbedingungen, unter denen die Pharmabranche in Deutschland und Europa arbeitet, werden eines der wichtigsten Themen werden, die wir mit den politischen Entscheidern besprechen wollen. Auf der europäischen Ebene, die mit der Bestätigung der Kommission Ende Nov. 2024 ihre Arbeit aufgenommen hat, haben wir es ebenfalls mit neuen politischen Machtverhältnissen und Personen zu tun. Es muss 2025 darum gehen, den Critical Medicines Act zu verabschieden und damit die Grundlage dafür zu legen, die Arzneimittelversorgung verlässlicher und stabiler hinzubekommen und die Verlagerung der Arzneimittelproduktion in außereuropäische Länder nicht weiter zu befeuern. Auch das EU-Pharmapaket und die Reform der Medizinprodukterichtlinie müssen im Jahr 2025 beschlossen werden – mit Augenmaß und ohne die Bedingungen für die Branche weiter zu verschlechtern.

Die neue Kommission steht hier vor der Aufgabe, ein regulatorisches Umfeld zu schaffen, das Innovation fördert und gleichzeitig die Arzneimittelversorgung in Europa sichert. Insbesondere die Medizinprodukterichtlinie drängt. Sie ist ein wichtiger Schritt für mehr Patientensicherheit und kann über eine effizientere und innovationsfreundlichere Gestaltung der Zulassungsverfahren auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen stärken. Beide Reformen müssen schnell auf den Weg gebracht werden.

Skandal-KARL

Es gibt kaum ein Gut, dass so wichtig ist wie sauberes Wasser. Die Anfang Nov. 2024 auf EU-Ebene verabschiedete Kommunale Abwasserrichtlinie (KARL) ist deshalb eine grundsätzlich begrüßenswerte umweltpolitische Maßnahme. Aber das ist nicht der Grund, warum die Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht eines unserer wichtigsten Themen im Jahr 2025 sein wird. Uns geht es darum, dass KARL gut gemeint, aber schlecht gemacht ist. Die geradezu skandalöse Festlegung der Richtlinie, die Kosten für die Beseitigung von Spurenstoffen, die aus vielen verschiedenen Branchen und Industrie stammen, ausschließlich auf die Pharma- und die Kosmetikbranche abzuwälzen, ist ein einmaliger politscher Vorgang.

Weil den Pharmaunternehmen nach dem Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung ein Großteil der Finanzierung einer 4. Abwasserreinigungsstufe in Deutschland zugewiesen worden ist, sind insbesondere für Generika erhebliche Zusatzkosten zu erwarten. Und das bei einem ohnehin schon enormen Druck auf Arzneimittelpreise in Deutschland. Pharmaunternehmen werden in die Lage geraten, bei Rabattverträgen mit längerfristigen Laufzeiten keine seriösen Angebote abgeben zu können, weil durch die Umsetzung der Abwasserrichtlinie Zusatzkosten in unkalkulierbarer Höhe drohen, die sie in der derzeitigen Situation nicht abschätzen können. Es gilt, zu verhindern, dass eine umweltpolitische Maßnahme zur größten Gefahr des ohnehin schon gestressten Gesundheitsfinanzierungssystem und der anfälligen Arzneimittelversorgung wird. Dass wir angesichts der strukturellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen eine neue Bundesregierung steht, nicht damit rechnen können, schnell Klarheit über die konkreten Verfahren und finanziellen Auswirkungen zu bekommen, trifft die Pharmabranche und damit die Versorgungssicherheit zusätzlich.

Starke Pharmabranche als überparteiliche Zielsetzung

Die Verabschiedung des Krankenhausreformgesetzes war das letzte große gesundheitspolitische Thema dieser Legislaturperiode. Pharma Deutschland bereitet sich jetzt auf den Start der Ende Febr. 2025 neu zu wählenden Bundesregierung vor. Wir wünschen uns, dass die neue Regierung das fortsetzt und intensiviert, was die Ampel unter dem Begriff Pharmastrategie begonnen hat: Den Pharmastandort Deutschland attraktiver zu machen und damit die Innovationsfähigkeit, die Investitionsvorhaben und die verlässliche Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu stärken. Denn wenn wir den Pharmastandort mit seinen Beschäftigten stärken, stärken wir auch die Einnahmeseite der Krankenkassen. Auch hier geht es in erster Linie darum, derzeit nicht gut funktionierende Regularien und Vorschriften auf den Prüfstand zu stellen. Und vor dem Hintergrund, dass in der aktuellen Situation eine starke Pharmabranche und eine langfristig stabile Arzneimittelversorgung parteiübergreifende Zielsetzungen sind, gehen wir von guten und konstruktiven Gesprächen aus, die wir mit allen demokratischen Parteien rund um die Bundestagswahl und die Koalitionsverhandlungen führen werden.

Gamechanger US-Wahl

Die Wiederwahl Trumps ist wohlmöglich mehr als nur ein Regierungswechsel. Schon gibt es Anzeichen dafür, dass die transatlantischen Beziehungen neu definiert werden und das Folgen auch für unsere Branche hat. Amerikanerinnen und Amerikaner haben mehrheitlich beschlossen, ab Jan. 2025 vielleicht nicht mehr die USA zu sein, die wir hier in Europa kennen, schätzen und brauchen. Anders als in den politischen Arenen in Europa sind wir bei diesem Umbruch nicht beteiligt, sondern nur betroffen. Mit Erstaunen verfolgen wir die Auswahl des neuen Regierungspersonals; der Nachweis fachlicher Kompetenz scheint dabei ein untergeordnetes Entscheidungskriterium zu sein. Wir werden bald sehen, was das für die Pharmabranche bedeutet. Die Regierung Trump wird uns beschäftigen. In den kommenden Jahresrückblicken und -ausblicken, und darüber hinaus.

pharmind 2025, Nr. 1, Seite 4