Nichts ist so beständig wie der Wandel

Dr. Lucas Schalch · Intergenerika
Dr. Lucas Schalch
Intergenerika ist die Vereinigung der führenden Generika-Firmen in der Schweiz, die ihrerseits über 90 % des Generika-Volumens in der Schweiz repräsentieren. Der Verband fördert die Akzeptanz von Generika durch Aufklärung von medizinischem Fachpersonal, Fachverbänden, Krankenkassen und Patienten und fördert deren Verbreitung als qualitativ mindestens gleichwertige, jedoch preiswertere Arzneimittel. Im Weiteren plant und koordiniert Intergenerika die Kontakte zu Medien, Behörden und Vereinigungen im Bereich der Gesundheitsberufe und des Gesundheitswesens.

Im Schweizer Gesundheitswesen stehen die Zeichen seit vielen Jahren auf Sparen. So hat die Entwicklung der Krankenkassen-Prämien in den letzten Jahren zu einer Flut von kostendämpfenden Maßnahmen im Gesundheitswesen geführt. Das schweizerische Gesundheitssystem tendiert inzwischen in Richtung Mikroregulierung. Damit einhergegangen ist eine massive Bürokratisierung für die Leistungserbringer und man muss sich fragen, ob dies schlussendlich zu den erwarteten Einsparungen geführt hat, oder damit nicht eher am Ziel vorbeigeschossen wurde. So hat der Schweizerische Ärzteverband berechnet, dass Ärzte ihre Zeit zunehmend vor dem Computer statt bei den Patienten verbringen und sich fast 2 Stunden täglich mit Dokumentationsarbeiten beschäftigen. Dieser Mehraufwand macht laut den Berechnungen fast 700 Vollzeitstellen aus. Aber auch die Industrie ist mit steigenden regulatorischen Anforderungen konfrontiert, was unweigerlich einen Kostenanstieg im Gesundheitswesen nach sich zieht.

Generika und Biosimilars nicht ausreichend gewürdigt

Dabei sind die steigenden Gesundheitskosten gemäß jährlich durchgeführten Befragungen mittlerweile die größten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer – noch vor dem Klimawandel oder der Sicherung der Altersvorsorge. Vor diesem Hintergrund ist der Spareffekt der preisgünstigen Medikamente nicht hoch genug einzuschätzen. Seit Jahren leisten die Generika und neuerdings auch die Biosimilars einen namhaften Beitrag zu den gewünschten Einsparungen im Gesundheitswesen. Allein im Jahr 2023 haben die patentfreien Qualitätsarzneimittel mit Einsparungen von 727 Mio. Franken einen großen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen geleistet. Für das Jahr 2024 ist ein erneuter Anstieg dieses Sparbeitrags zu erwarten. Dieser Beitrag wurde gemäß dem Entscheid des Bundesrates vom 22. Sept. 2023 mit der Inkraftsetzung per 1. Jan. 2024 der Anpassungen in der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102) und der Krankenpflege-Leistungsverordnung vom 29. Sept. 1995 (KLV; SR 832.112.31) ausgeweitet. So wurden ab dem 1. Jan. 2024 die Preisabstände für Generika und Biosimilars – sowohl bei der Erstaufnahme in die Spezialitätenliste (Liste der Medikamente, deren Kosten von der Grundversicherung übernommen werden) als auch zum Zeitpunkt der regelmäßigen 3-jährigen Preisüberprüfung – erhöht. In anderen Worten, es wurde der Preisdruck auf die wichtigen Medikamente der Grundversorgung erneut angehoben.

Preisdruck gefährdet Arzneimittel-Grundversorgung

Und obwohl Generika und Biosimilars als Garanten der Medikamenten-Grundversorgung Jahr für Jahr wichtige Sparbeiträge leisten, stehen sie wegen angeblich zu hoher Preise permanent in der Kritik. Dabei hält der Preisdruck auf diese Medikamente international und auch in der Schweiz unverändert an. Mit der Konsequenz, dass Medikamente für Patienten und Patientinnen mit Krebs, bakteriellen Infektionen, Diabetes, psychischen Krankheiten, entzündlichen Darmerkrankungen und Epilepsie heute bei uns günstiger zu haben sind als ein Päckchen Kaugummi und die Versorgung mit Tiefpreis-Arzneimittel immer problematischer wird. Die Komplexität wird durch die Tatsache erhöht, dass die Schweiz, die gerade mal 1,6 % der gesamten Generika-Mengen Europas ausmacht, mit teils sehr komplexen regulatorischen Anforderungen (z. B. dem Zwang zum Angebot der gesamten Handelsformen des entsprechenden Originals für Generika und Biosimilars) konfrontiert ist. Derweil verschärfen sich die seit Jahren anhaltenden Versorgungsengpässe eben bei diesen essenziellen Medikamenten noch weiter. So warnte im Okt. 2024 die Präsidentin des Apothekerverbands in führenden Schweizer Medien vor „erheblichen Medikamenten-Engpässen“, von denen vor allem Antibiotika betroffen seien, was ein großes Problem für die Bevölkerung darstellen könne. Das Portal drugshortage.ch, das die Versorgungsengpässe laufend dokumentiert, verzeichnet aktuell (Stand 31. Okt. 2024) 564 nicht lieferbare Produkte/Dosierungen, 728 nicht lieferbare Packungen und 278 betroffene Wirkstoffe. Es ist eine regelrechte Ausdünnung der Grundversorgung bis zum Wegfall von therapeutischen Möglichkeiten zu beobachten. Davon besonders betroffen sind Nischenprodukte wie Kinder-Arzneimittel, aber auch etablierte Onkologika und Antibiotika.

Wie lässt sich dieser gefährliche Ausdünnungs-Prozess in den Griff bekommen? Ein von Intergenerika in 2023 durchgeführter runder Tisch mit Schweizer und internationalen Experten kam zum Schluss, dass es hierzulande dringend die Zusammenarbeit im Rahmen einer übergreifenden Taskforce braucht, die sich dezidiert der Versorgungsproblematik annimmt. Zudem müssten langfristig attraktive und planbare Rahmenbedingungen für die Industrie geschaffen werden.

Politik hat Problematik erkannt

Interessant ist, dass in Bundesbern diese Problematik erkannt wurde. So ist die Idee aufgekommen, das Krankenversicherungsgesetz (KVG) dahingehend anzupassen und die Einführung der differenzierten WZW(Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit)-Kriterien in die Wege zu leiten. Diese Anpassung soll es dem Bund erlauben, die negative Preisspirale bei den Tiefpreis-Medikamenten zu stoppen. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) einberufene multidisziplinäre Arbeitsgruppe in ihrem Schlussbericht vom 22. Juli 2024 darauf hinweist, dass nicht nur die negative Preisspirale gestoppt werden muss, sondern auch die Möglichkeit geschaffen werden soll, die Preise der Medikamente, die heute bereits unter dieser Grenze liegen, zu erhöhen.

Dies entspricht zu 100 % der Forderung von Intergenerika: Erstens müssen untere Grenzpreise festgelegt werden, ab welchen die negative Preisspirale gestoppt wird. Zweitens muss es möglich sein, die Preise auf diese Grenzpreise zu erhöhen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Schweiz auch in Zukunft auf dem Weltmarkt bei der Zuteilung der begrenzten Produktionskapazitäten für diese Medikamente noch berücksichtigt wird.

Das Argument einiger Akteure, dass die Umsetzung der WZW-Kriterien zu höheren Gesundheitskosten führen würde, ist nicht haltbar: Diese Medikamente machen nur einen Bruchteil der Gesundheitskosten aus und die Kosten, welche durch die Nichtverfügbarkeit dieser Medikamente entstehen, sind um ein Vielfaches höher. Es bleibt spannend zu verfolgen, wie die dazugehörige Vernehmlassung in diesem Jahr vom BAG aufgesetzt wird.

Euphorie ist fehl am Platz

Trotz des Einlenkens der Politik ist zu viel Euphorie fehl am Platz. Die Schweizer Gesundheitsministerin Frau Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat im vergangenen Herbst einen neuen runden Tisch mit dem Arbeitstitel „Kostendämpfung“ in die Welt gerufen. Aufgrund dieses Arbeitstitels ist davon auszugehen, dass es nach den ersten 2 Kostendämpfungs-Paketen ein 3. geben wird und alles so weitergeht wie in den letzten 12 Jahren. Aus der Zusammensetzung dieses runden Tisches darf man zudem schließen, dass der Preisdruck auf die Medikamente unvermindert weitergehen wird.

Eines ist im Vorfeld dazu klar: Die Pharmaindustrie wird sich vehement gegen weitere einseitige Maßnahmen im Medikamentenbereich wehren und versuchen die Diskussion, in einer konstruktiven Art und Weise, auf andere Bereiche im Gesundheitswesen zu lenken. Mit Sicherheit lässt sich aber schon jetzt sagen, dass auch das Jahr 2025 von Wandel und intensiv geführten Auseinandersetzungen zwischen der Politik und den Akteuren im Gesundheitswesen geprägt sein wird.

pharmind 2025, Nr. 1, Seite 14