Pharmastandort auf dünnem Eis
Mag. Alexander Herzog Die PHARMIG ist die freiwillige, parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung der österreichischen pharmazeutischen Industrie und vertritt diese mit einer Stimme auf nationaler und internationaler Ebene. Der Verband vertritt rund 120 Unternehmen, von forschenden über produzierende bis hin zu Vertriebsunternehmen, von Konzernniederlassungen bis zu Ein-Personen-Unternehmen. Sie erforschen, entwickeln und vermarkten Arzneimittel für eine hochwertige Gesundheitsversorgung. (Quelle der Abbildung: PHARMIG/Stefan Csaky) |
Leise verschwindet der Schnee. Laut Klimaprognosen sind Österreichs Wiesen und Hänge heute im Durchschnitt etwa 40 Tage kürzer mit Schnee bedeckt als in den 1960er-Jahren. Bis 2030 wird erwartet, dass die Anzahl der Tage mit Schneedecke in Lagen unterhalb von 2 000 m um 30 % und darüber um 10 % zurückgeht. Für ein Wintersportland wie Österreich geht damit auf längere Zeit betrachtet ein wichtiger Wirtschaftszweig verloren. Denn wenn immer weniger Schnee liegen bleibt, auch bei künstlicher Beschneiung, wird Österreich kein Pistenparadies mehr sein, sondern nur noch Gondelstrecke ins nächsthöhere Skigebiet.
Auf das Wohl und Wehe der pharmazeutischen Industrie hat das Schneeaufkommen weniger Einfluss, sehr wohl aber tun es jene Rahmenbedingungen, die gestaltet werden können, sprich Standortfaktoren wie Steuer- und Abgabenpolitik, Förderungen, Fachkräfte und vieles mehr. Damit Österreich künftig neben dem Skitourismus nicht auch noch eine weitere Branche, nämlich die hier forschende und produzierende pharmazeutische Industrie, verliert, sollte gehandelt werden.
Leistung, die sich sehen lassen kann
Was für Österreichs pharmazeutische Industrie gilt, gilt auch für die europäische Pharmabranche. Erst letztes Jahr hat ein neuer Bericht von PricewaterhouseCoopers (PwC) den wirtschaftlichen Beitrag unserer Industrie in Europa hervorgehoben und vor einer wachsenden Investitionslücke bei Forschung & Entwicklung (F&E) gewarnt. Der Bericht zeigt im Resümee, dass die pharmazeutische Industrie der EU-27 im Jahr 2022 einen bedeutenden wirtschaftlichen Beitrag geleistet hat. Mit einem Gesamtwert von 311 Mrd. Euro trug sie 2 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU bei und beschäftigte 2,3 Mio. Menschen, was einem jährlichen Anstieg von 2,1 % zwischen 2016 und 2022 entspricht.
Die pharmazeutische Industrie ist ein treibender Motor für Innovation und Beschäftigung und spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Sie trägt dazu bei, Menschen den Zugang zu moderner und qualitativ hochwertiger Medizin zu ermöglichen, die Wirtschaftskraft zu stärken und langfristig Kosten für das Gesundheitssystem sowie die Volkswirtschaft zu senken. Um den Pharmastandort Europa im internationalen Kontext zu stärken, sind aber dringend faire und verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich.
Gefährlicher Preisdruck
Zurück zur Skination Österreich: Verglichen mit Steinen unter der Schneedecke, die einem beim Tiefschneefahren zum Verhängnis werden können, wirkt sich ein Faktor besonders negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit speziell Österreichs aus: der anhaltende Preisdruck. Insbesondere bei Generika, also patentfreien Arzneimitteln, ist dieser in den letzten Jahrzehnten immer heimtückischer geworden. In Österreich haben wir z. B. die Situation, dass jeden Monat an die 20 Medikamente aus der Versorgung fallen und damit den Patient:innen nicht mehr zur Verfügung stehen – nicht zuletzt deshalb, weil die Preise von so wichtigen Medikamenten wie Antibiotika, Schmerzmitteln und vielen mehr mutwillig permanent nach unten gedrückt werden.
Nachhaltig und zielführend wäre es dagegen, die Preise bei den Medikamenten unterhalb der Rezeptgebühr an die Inflation anzupassen, damit sie von den Unternehmen auch in der Versorgung gehalten werden können, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Inflation und der generellen Kostensteigerungen. Diese Rechnung geht für viele Hersteller irgendwann nicht mehr auf, schon gar nicht bei extrem margenschwachen Produkten. Es ist daher kein Wunder, dass sie in Länder abgewandert sind, in denen die Produktionskosten niedriger sind als in Europa.
Skihütten und asiatische Anreize
Ähnlich wie die Skihütten entlang der Pisten am Berg, wissen auch Länder in Asien, wie sie Suchende zum Bleiben animieren. Unternehmen bekommen hier langfristige Konditionen und planbare Rahmenbedingungen. Das schafft Sicherheit, Vertrauen und sorgt dafür, dass immer mehr Wirtschaft aus Europa weg in diese Regionen wandert. Das hat dazu geführt, dass schon jetzt 80 % der Arzneimittelwirkstoffe dieser Welt in China und Indien hergestellt werden. Dazu kommt: Vor 25 Jahren kamen noch rund die Hälfte aller neuen Therapien aus Europa, heute ist es nur noch ein Fünftel. Europa gerät damit immer weiter ins Hintertreffen. Das zeigen auch diese Zahlen: Zwischen 2018 und 2023 wurden insgesamt 91 neue Wirkstoffmoleküle in Europa entdeckt, verglichen mit 187 in den USA und 75 in China.
Und kein Ende in Sicht
Anstatt Unternehmen unter die Arme zu greifen, sie durch Anreize zu motivieren, hier zu bleiben und ihre Standorte idealerweise auszubauen, werden sie gerade in Europa mit immer neuen Regularien konfrontiert. Jetzt werden sie z. B. verpflichtet, die Kosten für eine 4. Klärstufe im Rahmen der Abwasserreinigung zu übernehmen. Umweltschutz ist wichtig, sollte aber nicht zur Erosion der Pharmalandschaft führen. Doch genau das passiert, wenn die immensen Kosten, die ein Ausbau der kommunalen Abwasseranlagen mit sich bringt, zum Großteil lediglich 2 Branchen aufgebrummt werden: der Kosmetiksparte und der pharmazeutischen Industrie.
Abgesehen davon, dass mehrere Quellen für die Verunreinigung des Abwassers verantwortlich sind, handelt es sich um Milliardenbeträge, die irgendwie gestemmt werden müssen – und das ohne jedwede Preiserhöhung bei der Produktpalette. Denn die Preise von erstattungsfähigen Medikamenten dürfen nicht einfach so erhöht werden. Welcher Spielraum bleibt den Unternehmen bei einem derartigen Mangel an Fairness also? In Wahrheit keiner.
Bürokratielawine Bewertungsboard
Fast scheint es, als sollten Unternehmen zwar unter Höchstgeschwindigkeit neue Arzneimittel entwickeln, doch ihr Vorhaben, sie für die medizinische Versorgung bereitzustellen, wird von einer Lawine an Bürokratie begraben. Ähnliches gilt für den innovativen Bereich: In Österreich hat das Bundesministerium ein Medikamenten-Bewertungsboard ins Leben gerufen, um kostenintensive Therapien zu bewerten, die überwiegend in Spitälern verabreicht werden. Damit soll ein einheitlicher Zugang zu diesen Therapien ermöglicht werden, unabhängig vom Bundesland. Fraglich ist jedoch, ob dieses Ziel mit diesem Board nicht eher erschwert wird.
Der Bund hat hier eine bürokratische Stelle im Ministerium eingerichtet, ohne Patientenvertretung und mit schwacher Einbindung medizinischer Expert:innen. Unter den 25 Mitgliedern des Boards ist nur 1 Mitglied der Patientenanwaltschaft ohne Stimmrecht und lediglich 3 Wissenschaftler:innen aus pharmakologischen bzw. medizinischen Fachrichtungen.
Diese mangelnde Fachexpertise in Fragen der Therapiebewertung ist erschreckend und stellt die ärztliche Therapiehoheit in Frage. Zudem wird die Verfügbarkeit lebenswichtiger Therapien verzögert, da das Board bis zu 5 Monate für Entscheidungen benötigt. Erst danach können Preisverhandlungen mit dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen erfolgen. Die Folge: Patient:innen, bei denen jeder Behandlungstag zählt, müssen 5 zusätzliche Monate oder länger auf ihre Behandlung warten. Ist das fair?
Fairness quo vadis?
Wenn Fairness nichts mehr zählt, darf man sich nicht wundern, dass pharmazeutische Unternehmen ihre Produkte aus der Versorgung nehmen müssen, weil sie sie schlichtweg nicht mehr am Markt halten können. Da sind Lieferengpässe dann sprichwörtlich hausgemacht, weil damit das Angebot immer kleiner wird und die Abhängigkeit von immer weniger Anbietern gleichzeitig steigt. Versorgung adé, Wirtschaft adé – so lässt es sich auf einen Nenner bringen, was gerade im österreichischen und europäischen Arzneimittelsektor passiert.
Sicherheit geht vor
Die Aufgabe an die Gesundheitspolitik ist klar: Piste sanieren, damit der Gesundheitsbereich wieder Fahrt aufnimmt. Dazu zählen u. a. faire Erstattungspreise, genauso auch Förderungen für Unternehmensansiedlungen und Erweiterungen. Sonst fallen Österreich und Europa weiter im internationalen Wettbewerb zurück. Dazu muss es der Politik bewusst sein, welche Tragweite ihre Entscheidungen haben. Je größer dieser Spielraum, desto größer auch unser Beitrag zu einer bestmöglichen Versorgung, zu einer prosperierenden, konkurrenzfähigen Wirtschaft, zu hoch qualitativen Arbeitsplätzen für Bürgerinnen und Bürger in Österreich und Europa und insgesamt zu einer hohen Lebensqualität. Denn die Industrie kann nur auf jener Piste fahren, die ihr die Politik zur Verfügung stellt.
pharmind 2025, Nr. 1, Seite 10