It´s the economy, stupid!

Das gilt auch für die künftige Gesundheitspolitik

Dr. Kai Joachimsen · Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI)
Dr. Kai Joachimsen
Wir vertreten als Verband mit unserer über 70-jährigen Erfahrung die Branche entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Deutschland und Europa. Unsere Mitglieder repräsentieren den gesamten Pharmamarkt in allen Produktarten. Wir setzen uns für die breite Verfügbarkeit von innovativen und etablierten Arzneimitteln sowie für Therapiefreiheit und therapeutische Vielfalt ein. Wir engagieren uns für den Erhalt und Ausbau von Deutschland und der EU als attraktiven Pharmastandort. Und gestalten aktiv die Zukunft der Gesundheitsbranche mit.

2024 war politisch und damit auch gesundheitspolitisch ein besonderes Jahr in einer Zeit, die immer mehr von Krisen geprägt ist. Und was aufgrund großer geopolitischer Veränderungen für die Verteidigungspolitik gilt, hat meines Erachtens auch mit Blick auf das Gesundheitswesen und die Gesundheitsversorgung oberste Priorität: Wir brauchen einen mutigen Paradigmenwechsel, um unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle zu erhalten. Ein Umdenken hin zu einem System, das auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet ist und flexibel genug bleibt, um unerwartete Entwicklungen zu meistern.

Deswegen haben wir als BPI die Initiative Gute Gesundheit 2030 – Gesundheit zusammen neu denken und dauerhaft besser machen ins Leben gerufen und mit dem Tag der Gesundheitsversorgung am 13. Nov. 2024 den Grundstein für einen sektorenübergreifenden Dialog gelegt, der im Jahr 2025 weiter Fahrt aufnehmen soll. Der Moment für einen Paradigmenwechsel ist eindeutig gegeben. Die Ampel-Koalition ist zerbrochen, wir stehen vor Neuwahlen und die Weichen für das nächste Jahrzehnt werden nun gestellt. Und das, während wir uns inmitten einer sich anbahnenden Krise des Gesundheitssystems befinden. Steigende Zusatzbeiträge, Fachkräftemangel und schleppende Digitalisierung sind hier nur einige Symptome. Zwar haben sich die Probleme innerhalb von Jahrzehnten entwickelt. Die Flickschusterei hat aber leider nicht im Geringsten dazu geführt, das Steuer herumzureißen. Obwohl es zuletzt etwa beim Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) und dem Medizinforschungsgesetz, durchaus richtige Ansätze in der Gesundheitspolitik gab. Es war richtig, zur Verbesserung der Versorgungslage bei der Preisbildung anzusetzen. Allerdings hätten die Entlastungen nicht nur die medial prominenten Kinderarzneimittel und Antibiotika, sondern alle Arzneimittel der Grundversorgung viel stärker in den Fokus nehmen sollen. Das wäre ein großer Wurf gewesen, der einen wirksamen Beitrag bei der Bekämpfung der Lieferengpässe geleistet hätte. Auch beim Medizinforschungsgesetz hat der Bundesgesundheitsminister grundsätzlich die richtige Richtung eingeschlagen und Anreize gesetzt, indem etwa die von uns als BPI immer wieder geforderten beschleunigten und vereinfachten Genehmigungs- und Anzeigeverfahren für sichere klinische Prüfungen umgesetzt wurden.

Neue Bundesregierung muss im Pharmabereich nachsteuern

Damit Deutschland wieder als Studien- und Forschungsstandort attraktiv wird, braucht es allerdings noch mehr Anstrengungen, gerade im Bereich der Erstattungspolitik. Es müssen die Fehlentwicklungen bei den AMNOG-Leitplanken und Abschlägen für Kombinationstherapien dringend korrigiert werden. Denn ein politisches Bekenntnis zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten erfordert auch eine faire Honorierung von Forschungsergebnissen. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) konterkariert in seiner jetzigen Gestalt die guten Absichten der Pharmastrategie und des Medizinforschungsgesetzes. Hier muss eine neue Bundesregierung unbedingt nachsteuern, denn der Pharmastandort ist in Gefahr. Die Pharmabranche leidet wie die restliche Wirtschaft auch unter den strukturellen Problemen des Standorts Deutschland. Wir haben ein schlechtes Quartett aus überbordender Bürokratie, Fachkräftemangel, zu hohen Energiekosten und bröckelnder Infrastruktur. Zudem muss die Arzneimittelpolitik wieder deutlich innovationsfreundlicher werden. Auch muss sich eine Generika-Produktion in Deutschland wieder lohnen. Dafür brauchen wir jetzt so schnell wie möglich eine neue, handlungsfähige Regierung und politische Klarheit – auch mit Blick auf Prioritäten. Es ist entscheidend, dass die Bundesregierung ihre politische Neuordnung nicht in die Länge zieht, sondern schnell für einen zukunftsfesten Kurs sorgt. Die gesamte pharmazeutische Branche braucht dringend verlässliche Rahmenbedingungen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten – das sind wir unseren Patienten schuldig.

BPI setzt auf wirtschaftspolitischen Dialog

Bereits im Nov. 2023 fand dazu der Pharma-Gipfel im Kanzleramt statt, bei dem der BPI in 1. Reihe vertreten war. Im Gespräch mit Olaf Scholz konnte der BPI damals die Anliegen der Branche direkt adressieren. Auch im Jahr 2024 stand der BPI regelmäßig im Dialog mit der Bundesregierung und den zuständigen Ministerien. Im Mai folgten sowohl der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sowie Oppositionsführer Friedrich Merz der Einladung zur BPI-Hauptversammlung – ein klares Zeichen dafür, dass die Bedeutung stabiler Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie parteiübergreifend anerkannt wurde. Wir haben zudem in zahlreichen wirtschaftspolitischen Gesprächen und dem regelmäßigen Round Table Gesundheitswirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) darauf hingewiesen, dass zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland auch unbedingt dazugehört, Bürokratie abzubauen. Das Standortthema ist aufgrund zahlreicher bürokratischer Lasten für viele pharmazeutische Unternehmen mit existenziellen Fragen verbunden. Unsere Unternehmen brauchen insofern nichts mehr als Entlastung und wirtschaftliche Stabilität – und das kann nur durch eine handlungsfähige und handelnde Regierung sichergestellt werden.

Überregulierung und Bürokratie schaden dem Standort

Die Lage ist ernst: Die Überregulierung hat sich in der pharmazeutischen Industrie immer mehr zu einem Schraubstock entwickelt, der den Unternehmen die Luft für Innovation und Forschung und damit die Zukunftsorientierung abschnürt. Allein die Preisregelungen erfahren insbesondere durch Festbeträge, AMNOG-Rabatte, Rabattverträge, Importklauseln, Herstellerabschläge, Kombiabschläge, die dezentralen Regulierungen durch 17 Kassenärztliche Vereinigungen mit Quoten, Leitsubstanzen sowie Ampelsystemen eine fast unübersehbare Kaskade von Einschränkungen. Dies führt zu einer jährlichen Belastung von mehr als 20 Mrd. Euro. 20 Mrd. Euro, die für Innovationen, Forschung, Entwicklung und zukunftsorientierte Industriepolitik fehlen. Die pharmazeutische Industrie hat in der COVID-19-Pandemie sehr deutlich gezeigt, dass es ihr in erster Linie darauf ankommt, Innovationen für die Bevölkerung zu erarbeiten und die Versorgung sicherzustellen.

EU-Regelungswut triggert Versorgungsknappheit

Auch aus der EU-Politik kommen kontraproduktive Regelungen, die dem Pharmastandort Deutschland und damit nicht zuletzt auch dem Wirtschaftsstandort Europa massiv schaden können. Ein Beispiel ist die EU-Kommunalabwasser-Richtlinie. Wir unterstützen als BPI selbstverständlich die Umweltziele des Green Deals der Europäischen Union (EU) sowie allgemein den Schutz von Umwelt und Gesundheit. Zugleich kritisieren wir deutlich, dass die geplante Regelung der erweiterten Herstellerverantwortung die Pharmaindustrie zu großen Teilen für die Kosten der neuen Reinigungsstufe für Mikroverunreinigungen in die Pflicht nehmen will. Wir sehen die medizinische Versorgung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an und fordern daher, dass auch die Kosten der Umweltmaßnahmen solidarisch von allen Verursachern getragen werden. Die massive Belastung der Unternehmen steht im Widerspruch zur politisch gewollten Stärkung des Pharmastandorts und ist auch verfassungsrechtlich fragwürdig. Vor allem aber wird sie das Problem der Medikamenten-Knappheit verstärken und zu Engpässen bislang ungeahnten Ausmaßes führen. Deshalb muss die Bundesregierung auf eine nationale Schadensbegrenzung achten und der einseitigen Belastung der Pharmaunternehmen entgegenwirken.

Sofortmaßnahmen notwendig

„It´s the economy, stupid!“ hieß es damals im US-Präsidentenwahlkampf 1992 im siegreichen Clinton-Lager. Dieser Satz ist aktueller denn je und die deutsche und europäische Politik sollte ihn unbedingt beherzigen und damit ernst machen. Wir brauchen Sofortmaßnahmen für die Industrie, gerade auch im Pharmasektor. Langfristige Planungssicherheit und Verlässlichkeit sind für uns essenziell. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern machen wir uns seit Jahren für stabile Produktions- und Lieferbedingungen in der Versorgung sowie für faire und investitionsfreudige Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung stark. Auch mit Blick auf die internationale Außenwirkung und den Erhalt sowie Ausbau von Deutschland und der EU als attraktiven Pharmastandort ist eine stabile nationale Regierung daher wichtiger denn je. Mit unserem breit aufgestellten Netzwerk auf Landes-, Bundes- und Europaebene bleiben wir weiter im Austausch mit allen politischen Entscheidungsträgern, die ebenso wie wir das Ziel verfolgen, gemeinsam den Pharmastandort Deutschland – von der Forschung bis zur Produktion von Arzneimitteln – voranzubringen und zugleich bestehende bürokratische Hürden für Unternehmen abzubauen. Wie das gelingen kann, zeigt komprimiert unser Masterplan.Pharma.*)

Verweise

*)www.bpi.de/pharmaindustrie/standort-deutschland/masterplanpharma
pharmind 2025, Nr. 1, Seite 6