Rabattverträge und Aut-idem: Mit Riesenschritten hin zum Generika-Oligopol
Dr. Dietmar Buchberger |
Rabattverträge
Die AOKen haben wieder ausgeschrieben. Diesmal 105 Wirkstoffe, für die die Rabattverträge im April 2012 anlaufen sollen. Das ist der nächste Riesenschritt hin zum Generika-Oligopol.
Mittlerweile ist es nämlich nicht mehr nur Befürchtung, die von manchen gar als reine eigenen wirtschaftlichen Interessen geschuldete Panikmache abgetan wird, sondern kann an Hand harter Fakten überprüft werden: Die Rabattverträge begünstigen das Generika-Oligopol stark.
„Gekennzeichnet ist der Rabattmarkt nach Angaben von IMS Health durch eine hohe Anbieterkonzentration. So beträgt der Anteil der zehn absatzstärksten Arzneimittelhersteller im gesamten GKV-Markt 49 %. Betrachtet man dagegen nur das Marktsegment mit Rabattvertrag, so vereinen diese zehn Hersteller 74 % des Absatzes in Packungseinheiten auf sich. Im nicht rabattregulierten Markt beträgt der Anteil dieser Top 10-Hersteller nur rund ein Drittel (34 %).“ (Ärzte-Zeitung vom 18. Juli 2011).
Die neue AOK-Ausschreibung treibt den Konzentrationsprozess nun massiv weiter voran. Einen Konzentrationsprozess, den doch angeblich gar keiner will – so jedenfalls die Lippenbekenntnisse aus Politik und selbst aus Krankenkassen. Dabei könnte man dort – jetzt wo sich das Problem am Markt deutlich zeigt – ja etwas dagegen tun. Die Politik könnte, meinte sie es mit Wettbewerb und Mittelstandsschutz ernst, die Regeln ändern und Rabattverträge abschaffen, die Kassen könnten schon jetzt auf dieses Instrument verzichten, um Generikawettbewerb und damit die wichtigen Einsparpotenziale auch mittelfristig zu erhalten.
Aber das genaue Gegenteil passiert. Statt Wirtschaftlichkeit auf Dauer stellt man ausschließlich gegenwärtig erzielte Einsparungen durch die Rabattverträge in den Mittelpunkt der Diskussion. Wahrscheinlich wird man jetzt, wo auch Wirkstoffe ausgeschrieben werden, deren Patente erst in Kürze ablaufen, die dort erreichten Rabatte besonders loben. Dabei bestünde dazu der geringste Anlass: Gerade nach Patentablauf sorgte der Generikawettbewerb seit jeher allein und ohne, dass es dafür Rabattverträge braucht, für den Hauptpreisnachlass. Umso mehr, je mehr Wettbewerber mit dem Wirkstoff auf den Markt kamen.
Dieser Wettbewerb wird nun behindert, die unabhängigen mittelständischen Generikahersteller in Deutschland an den Rand gedrängt und existenziell bedroht. Am Ende werden dann, wie an den Tankstellen und bei den Strompreisen heute schon, die Verbraucher die Zeche für das künstlich erzeugte Generika-Oligopol zahlen.
10 Jahre Aut-idem: Keine Erfolgsgeschichte
Den Rabattverträgen ist es auch zu verdanken, dass die Diskussion über Aut-idem wieder voll entbrannt ist. Dabei ist Aut-idem ja schon viel älter. Schon vor zehn Jahren sollte das, was vorher die Ausnahme war, zur Regel gemacht werden, nämlich dass der Arzt zwar Wirkstoff und Dosis verschreibt, der Apotheker aber das Fertigarzneimittel auswählt, das der Patient erhält.
Geht eigentlich nicht, sagte der Deutsche Generikaverband damals schon. Schließlich kennt nur der Arzt den Patienten, weiß von seinen Allergien, seinen Fähigkeiten, in neuen Packungen und Namen seine alte Therapie zu erkennen, nur er weiß, ob z. B. Tabletten geteilt werden sollen und deshalb eine Bruchkerbe zwingend ist etc.
Geht doch, hielt man uns entgegen. Schließlich steht es dem Arzt ja nach wie vor frei, Aut-idem, also den Austausch in der Apotheke auszuschließen.
Aut-idem begünstigt Generika-Oligopol
Und wie es ging! Eine retrospektive Studie der KV Nordrhein aus dem Jahre 2006 zeigt es: „Substituierten die Apotheken allerdings verordnete Generika, so wurde bei 76,7 % ein gleichteures beziehungsweise teureres Präparat abgegeben. Dabeifällt auf, dass 52 % der Ersatzpräparate von den Firmen Ratiopharm, Stada und Hexal waren. Dies unterstützt die andernorts geäußerte Vermutung, dass hier Naturalrabatte den Ausschlag gaben“, konnte man am 10. Oktober 2008 dazu im Deutschen Ärzteblatt lesen.
Dann kamen die Rabattverträge und später die Verpflichtung für den Apotheker, das Rabattarzneimittel statt des verordneten abzugeben. Geht doch nicht, sagte der Deutsche Generikaverband wieder. Die Kasse kann doch noch weniger als der Apotheker wissen, welche individuellen Probleme der Patient hat. Geht doch, entgegnete man uns wieder. Es habe sich doch nichts geändert. Droht ein Umstellungsproblem, könne – und müsse – der Arzt schließlich Aut-idem ausschließen.
Und die Umstellungsproblematik bleibt ja auch wirklich immer die Gleiche, völlig egal, ob ein verordnetes Arzneimittel aus wirtschaftlichen Gründen vom Apotheker in eigener Entscheidung oder durch Auswahl der Kasse ausgetauscht wird.
Generika und die Mär von den Wirkstoffspiegelschwankungen
Plötzlich schwirrten aber Begriffe wie „enge therapeutische Breite“ durch die Diskussion. Und natürlich wurde der Versuch nicht ausgelassen, Generika zu diskreditieren: Im Vergleich zum Originalprodukt dürften bei Generika bis zu 20 % weniger bzw. bis zu 25 % mehr vom Wirkstoff im Körper des Patienten ankommen, warnte man zum Beispiel wieder einmal.
Dabei spräche doch noch nicht einmal das gegen einen Austausch: Generika werden ja erst zugelassen, wenn Bioäquivalenz belegt ist, wenn sie sich also in ihrer Wirksamkeit und Unbedenklich nicht vom Original unterscheiden. Wären die oben beklagten Schwankungen ein relevantes Problem, wären die Generika eben nicht bioäquivalent und hätten keine amtliche Zulassung. Die Sache mit den Schwankungen liegt durchaus komplizierter:
Vielleicht sollten sich die Generika-Austausch-Bedenkenträger einmal die Mühe machen, sich die typische Fachinformation eines typischen Generikums anzusehen. Dort ist oft auch die Bioäquivalenz dargestellt. Eine Abbildung ist zu finden mit den Wirkstoffspiegeln, die sich nach Einnahme dieses Generikums bzw. des Referenzproduktes einstellen, sowie deren Standardabweichungen.
Auf der einen Seite sind die beim Generikum, auf der anderen Seite die des Referenzproduktes aufgetragen. Und was sieht man: In der Tat sind diese Schwankungen groß, aber sie sind gleich groß beim Generikum und beim Original. Es sind nämlich – anders als man uns mit der Warnung vor unterschiedlichen Wirkstoffspiegeln nach dem Austausch der Produkte glauben machen will – gar keine Schwankungen nach Austausch von Produkten, sondern Schwankungen von Proband zu Proband bei Anwendung ein und desselben Produkts.
Im Allgemeinen stellen sich nämlich bei dem einen Menschen relative hohe Spiegel beim Generikum und beim Original ein, beim anderen Menschen niedrige beim Generikum und beim Original.
Deshalb die großen Schwankungsbalken bei beiden Produkten und genau deshalb werden bei den „kritischen Indikationen“ mit enger therapeutischer Breite in der Praxis Wirkstoffspiegel gemessen und die Dosis entsprechend angepasst – bei Anwendung des Originals, genau wie bei Anwendung irgendeines Generikums und auch dann, wenn überhaupt gar kein Präparatewechsel vorgenommen wird.
Mit einem Austausch der Produkte – mit Aut-idem – hat das überhaupt nichts zu tun.
Die wirklichen Austauschprobleme
Generika sind bioäquivalent. In Sachen Wirksamkeit und Sicherheit bedeutet das: Was für das Original gilt, gilt auch für das Generikum!
Der Autor des Arzneimittelreports der Barmer GEK, Prof. Gerd Glaeske, zeigt ganz aktuell auf, wo die wirklichen Austauschprobleme liegen, nämlich bei alltäglicheren Krankheiten, wie Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Gerade bei älteren Menschen, die stabil eingestellt seien, wolle man nicht immer, wenn Rabattverträge auslaufen, mit neuen Präparaten von vorne anfangen. Und das hat mit angeblichen Wirkstoffspiegelschwankungen nach dem Prapäratewechsel gar nichts zu tun, sondern mit Compliance, Unter- und Überdosierung durch Präparateverwechslung nach Namens- und Packungsdesignänderung etc.
Aut-idem-Probleme: Probleme des einzelnen Patienten
Aut-idem-Probleme sind keine Produktqualitätsprobleme, sondern Probleme des einzelnen Patienten. 10 bis 15 % der Verordnungen seien für die Aut-idem-Substitution ungeeignet stellt Prof. Gerd Glaeske fest.
Dann sind Ärzte aber auch gehalten, in diesen Fällen Aut-idem auszuschließen. Nichts hat sich in den zehn Jahren geändert. Weder Naturalrabatte noch Rabattverträge ändern etwas daran, dass nur der Arzt die individuellen Probleme des Patienten kennt und daran, dass er letztlich die Verantwortung für die Therapie trägt. Aut-idem zulassen darf er sogar erst, wenn er weiß, dass damit kein Schaden für den Patienten entsteht.
Aut-idem ist auszuschließen, gemäß Glaeske in 10 bis 15 % der Fälle, in bestimmten Indikationen (Asthma-Sprays zum Beispiel), bei bestimmten Darreichungsformen wie Topika, die ja wie Originale über eigene Wirksamkeitsnachweise statt über den Beleg der Bioäquivalenz zugelassen werden, sicher in einer größeren Zahl. Und genau darauf gilt es hinzuwirken.
Ärzten den Rücken stärken!
Aut-idem ausschließen, immer dann, wenn es für die Sicherheit erforderlich ist: Ärzten ist dabei der Rücken zu stärken!
Es nutzt weder den Patienten, noch den Kassen, stattdessen den Ärzten, die Aut-idem ausschließen, quasi an den Pranger zu stellen und gleichzeitig Generika mit wissenschaftlichen Scheinargumenten aus der Mottenkiste zu diskreditieren.
pharmind 2012, Nr. 1, Seite 11