AMNOG und Zwangsrabatt – auch 2012 die bestimmenden Themen

Birgit Fischer · Hauptgeschäftsführerin, vfa – Die forschenden Pharma-Unternehmen

Für die forschenden Pharma-Unternehmen war die Umsetzung des AMNOG die zentrale Aufgabe im vergangenen Jahr. Neu war die Mammut-Aufgabe, gemeinsam mit den weiteren Pharmaverbänden und dem GKV-Spitzenverband eine Rahmenvereinbarung für die ab Januar startenden Erstattungsverhandlungen auszuhandeln. Was niemand den Beteiligten zugetraut hätte: Mitte Oktober hatten wir einen weitreichenden Konsens erzielt. Die letzte offene Frage, die zu den europäischen Vergleichspreisen, wurde an die Schiedsstelle verwiesen. Dass die Schiedsstelle im Konsens personell besetzt wurde, ist ein weiterer Erfolg aller Beteiligten und zeigt, dass Dialog und Kooperation im deutschen Gesundheitswesen möglich sind.

Birgit Fischer

Frühe Nutzenbewertung

Weiterer Schwerpunkt aus unserer Sicht war die frühe Nutzenbewertung, die mit dem IQWiG-Gutachten zu Ticagrelor (Brilique) eine Premiere feierte. Hier zeigte sich, dass alle Beteiligten am Anfang eines Prozesses stehen, mit allen Unwägbarkeiten und Lernprozessen, die damit verbunden sind. Und wir müssen schnell lernen, denn hinter den technischen Details der frühen Nutzenbewertung steht die Frage, wie künftig in Deutschland für Patienten der Zugang zu Innovationen gewährleistet wird.

Die Politik hat sich an diesen Umsetzungsfragen im Jahr 2011 nicht beteiligt. Man wollte den Beteiligten die Chance geben, in Kooperation miteinander praktikable Lösungswege zu finden. Mit den Ergebnissen der ersten Erstattungspreisverhandlung bzw. den weiteren frühen Nutzenbewertungen werden Erfahrungen gesammelt, die auch der Gesetzgeber beachten soll, um gegebenenfalls im Geiste des Gesetzes einzelne Regelungen nachzujustieren. Medizinischer Fortschritt, der ohne Verzögerung im Versorgungsalltag des Patienten ankommen muss, darf nicht ausgebremst werden.

Zwangsrabatt

Die Politik hat auch in einem weiteren für unsere Industrie wichtigen Punkt abgewartet: Der gesetzlich vorgesehenen Überprüfung des erhöhten Zwangsrabatts, der die Pharma-Branche seit Mitte 2010 in erheblichem Umfang belastet.

In Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Unsicherheit zum Jahresende 2009 wurde für die sozialen Sicherungssysteme der GKV ein Milliarden-Defizit für die Jahre 2010 und 2011 von in der Spitze etwa 11 Mrd. Euro prognostiziert. Diese Annahme führte zum GKV-Änderungsgesetz. Der Hersteller-Rabatt wurde in 2010 von 6 auf 16 % angehoben und gleich bis 2013 festgezurrt, das Preismoratorium – letzteres sogar rückwirkend zum August 2009 – wurde damit sogar über mehr als 3 Jahre hinweg verhängt.

Die GKV wollte auch in der Krise bei ihren uneingeschränkten Leistungsversprechen bleiben. Deshalb unternahm die Politik alles, um die Finanzierung der Versorgungsstandards der Gesetzlichen Krankenversicherung zu stützen. Ob ausgerechnet ein Zwangsrabatt in dieser Höhe und Dauer dafür ein Mittel der Wahl sind, bleibt mehr als fragwürdig.

Mittlerweile ist jedoch belegt, dass das befürchtete Milliarden-Defizit nicht eingetreten ist, dass im Gegenteil sowohl GKV-Kassen als auch Gesundheitsfonds stattliche Überschüsse erzielen. Und alle Finanz- und Konjunkturmeldungen weisen auf weiterhin gut gefüllte GKV-Kassen mit jährlichen Milliarden-Überschüssen hin. Schon werden erste Begehrlichkeiten und Erwartungen der Leistungserbringer laut.

Vor diesem Hintergrund erwartet die forschende Pharmaindustrie, dass die rechtlich verpflichtende Überprüfung der Bedingungen, die den Zwangsrabatt begründet haben, schnell und korrekt erfolgt. Dem von der Politik zugesagten fairen Interessenausgleich müssen auch Taten folgen.

Chancen und Perspektiven 2012

Das Jahr 2012 sollte genutzt werden, Handicaps abzubauen, die durch die Art der Umsetzung des AMNOG und die Methodik bei der frühen Nutzenbewertung entstanden sind. Gestärkt werden sollte bei allen Akteuren im Gesundheitsbereich die Kooperationsfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft. Vielleicht gelingt es ja sogar, ein Bündnis zwischen Ärzten, Kassen und Industrie zu entwickeln, die sich das Ziel setzen, für und mit Patienten den medizinischen Fortschritt durch Innovationen weiterzuentwickeln und zu sichern.

Ein solches Bündnis ist angesichts der Herausforderungen der Zukunft eine wichtige Aufgabe. Wer das Gesundheitswesen modernisieren und den Stand des aktuell verfügbaren Wissens anpassen will, kann dies nur gemeinsam mit verantwortlichen Kooperationspartnern leisten. Nur wenn es gelingt, gemeinsam Versorgungsaspekte stärker in den Fokus zu rücken, kann eine dauerhaft gute Gesundheitsversorgung in Deutschland erreicht werden. Auch in der politischen Betrachtung muss der Fokus um eine umfassende Betrachtungsweise des „Gesundheitsmarktes Deutschland“ erweitert werden. Wirtschafts- Forschungs- und Gesundheitspolitik müssen stärker als bisher koordiniert auf die Bedürfnisse der Leistungserbringer wie auch der Patienten eingehen.

Für die Menschen in unserem Land, für die deutsche Volkswirtschaft gibt es viel zu gewinnen: Bessere Versorgung in einer Gesellschaft des langen Lebens ermöglicht mehr Teilhabe am gesellschaftlichen wie beruflichen Leben; bessere Rahmenbedingungen für Kliniken, Ärzteschaft und Industrie bieten gute berufliche und wirtschaftliche Perspektiven in einem globalen Wachstumsmarkt.

pharmind 2012, Nr. 1, Seite 16