Preiswettbewerb und Versorgungssicherheit brauchen Anbietervielfalt
Bork Bretthauer |
Die Bundesregierung nennt sich selbstbewusst die „erfolgreichste Bundesregierung seit der deutschen Wiedervereinigung“. Gilt das auch für die Gesundheitspolitik?
Für Pro Generika ist die Messlatte für „Erfolg“ klar: Welche Entscheidungen hat die Politik getroffen, um die Chancen für Generika und Biosimilars in Deutschland zu verbessern und dadurch die sichere Versorgung von Patienten mit preisgünstigen Arzneimitteln nachhaltig zu gestalten?
Der Generikamarkt in Deutschland ist nahezu vollständig Gegenstand von Erstattungsgrenzen (Festbeträge). Hinzu kommen die seit Jahren zunehmenden Rabattverträge, bei denen Krankenkassen Wirkstoffe europaweit ausschreiben, um weitere Preisnachlässe zu erreichen – bei ohnehin niedrigen Generikapreisen. Längst ist Deutschland zusammen mit den Niederlanden das Land mit den niedrigsten Generikapreisen in der EU, wie eine Studie der London School of Economics für das Europaparlament im März 2011 feststellte1).
Der deutsche Generikamarkt steuerte 2012 auf ein historisches Allzeithoch bei den Rabattverträgen zu. Rund 70 % des gesamten Volumens, also aller Generikapackungen, sind bereits rabattvertragsgeregelt – mit steigender Tendenz. Die Krankenkassen sind 2012 zudem noch stärker dazu übergegangen, die patentfrei werdenden Arzneimittel unmittelbar nach Patentablauf europaweit auszuschreiben.
Wettbewerb braucht Zeit
Dabei ist es auf dem Generikamarkt – trotz des enormen Dickichts an Regulierungen – wie in anderen Branchen auch: Der Wettbewerb entsteht dadurch, dass Unternehmen ihre Produkte am Markt anbieten. Je mehr Anbieter es für ein Arzneimittel gibt, umso intensiver ist der Preiswettbewerb. Rabattverträge befördern den Wettbewerb dagegen nicht, wie die Studie des Berliner IGES-Instituts „Generika in Deutschland: Wettbewerb fördern – Wirtschaftlichkeit stärken“ (2011) anhand umfassender wissenschaftlicher Marktanalysen nachgewiesen hat. Im Gegenteil, sie befördern die Marktkonzentration.
Die Entwicklung des Generikawettbewerbs benötigt Zeit. Anhand der empirischen Analysen des IGES ist zu erkennen, dass es bis zu 24 Monate braucht, bis der Generikawettbewerb seinen Zenit erreicht hat und sämtliche Unternehmen in den Wettbewerb eingetreten sind. Das heißt im Umkehrschluss: Je früher die Kassen nach dem Patentablauf ausschreiben, umso weniger Anbieter haben die Chance, sich auf dem Markt zu etablieren. Und umso weniger Anbieter in einem Wirkstoffmarkt agieren, umso geringer ist dort der Preiswettbewerb – auch das ist ein Ergebnis der IGES-Studie.
Wettbewerb und Versorgungssicherheit haben gemeinsame Wurzeln: Anbietervielfalt
Krankenkassen stehen in intensivem Wettbewerb. Das geht soweit, dass sie sich misstrauisch beäugen, wer die meisten Rabattverträge hat. Je mehr, je besser. Mehr noch: Einzelne große Krankenkassen behaupten ernsthaft, dass man erst mit europaweiten Beschaffungsvorgängen den „richtigen“ Preis von Generika erreicht. Der „richtige“ Preis aus Sicht von Krankenkassen ist dabei der Tiefstpreis, der möglichst nah an den Grenzkosten liegt.
Das Rabattvertragssystem hat seine Grenzen erreicht. Seine Fallen sind in 2012 erneut klar zutage getreten:
Im September 2012 hat die ARD-Lottofee – ohne, dass ihr das bewusst war – bei der Ziehung der Lottozahlen mit darüber entscheiden müssen, welches Generikaunternehmen den Zuschlag in einem Rabattvertrag erhält. Die wirtschaftlichen Gebote der Unternehmen hatten exakt auf demselben Niveau gelegen, was zeigt, dass es keinerlei „Luft nach unten“ gibt.
Krankenkassen müssen Rabattverträge bereits kündigen, weil Unternehmen zu den vereinbarten Konditionen nicht mehr lieferfähig sind.
Nach Jahren des von der AOK vorgetragenen Mantras, die Einfachvergabe sei „alternativlos“, schwenkt die Krankenkasse wegen zunehmender Lieferprobleme jetzt auf Mehrfachvergabe um. Nur lösen Mehrfachvergaben die systemischen Probleme auch nicht.
Pro Generika warnt davor, diese Symptome leichtfertig abzutun. Denn sie zeigen plastisch auf, was mittlerweile auch aktuelle Studien der London School of Economics für die EU-Kommission2) und des IMS-Institutes für den EU-Gipfel der Gesundheitsminister im Oktober 20123) belegen: Es muss ein Gleichgewicht geben zwischen Preisen, Lieferfähigkeit und Qualität. Wenn man, wie vor allem im Generikabereich, über Jahre ausschließlich auf Tiefstpreise setzt, steigt die Störanfälligkeit des Gesamtsystems.
Wirtschaftlichkeit hat zwei Seiten
Zahlreiche Gespräche mit Krankenkassen zeigen, dass diese meist nicht im Blick haben, was Rabattverträge auf der Unternehmensseite auslösen. Markteinführungen und Produktionsmengen werden unkalkulierbar; jegliche Planbarkeit geht verloren. Das hat Konsequenzen: Personal wurde abgebaut, Produktionsprozesse überprüft, Produktionsstandorte verlagert, patientenfreundliche Weiterentwicklungen gestrichen, weil Patientenfreundlichkeit in der Logik der Rabattverträge zum „Kostennachteil“ geworden ist.
Unternehmen überprüfen ihre Produktportfolios, weil die Kosten für Entwicklung, Zulassung, Produktion, Qualitätsüberwachung, Pharmakovigilanzvorschriften, steigende Gebühren für Zulassungsbehörden, Lagerhaltung und Logistik bestimmter Produkte höher sind als die in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, tatsächlich zu erzielenden effektiven Preise.
Wer – zusammengefasst – Wirtschaftlichkeit ausschließlich als Handlungsmaxime von Krankenkassen begreift, zeigt, dass er von Wirtschaft wenig versteht.
Versorgungssicherheit gibt es nur mit Anbietervielfalt
Pro Generika nimmt diese Entwicklung sehr ernst und hat die Gesundheitspolitik, Krankenkassen und die Öffentlichkeit aktiv und frühzeitig auf Konsequenzen des Tiefstpreiswettbewerbs in Deutschland aufmerksam gemacht. Die Analyse der Situation in den USA zeigt, dass Lieferengpässe dort zu 50 % ursächlich damit zu tun haben, dass es für bestimmte Arzneimittel nur einen oder zwei Anbieter gibt. Eine analoge Situation haben wir bereits in Deutschland z. B. bei einigen generischen Zytostatika. Und die Rabattverträge tragen erheblich zu einer weiteren Beschleunigung der Marktverengung auf dem Generikamarkt bei.
Hinzu kommt: Jede Kasse handelt ausschließlich egozentriert und hat dabei nicht die systemischen Auswirkungen im Blick. Ein Beispiel: In Deutschland kosten über 1 000 Generika ab Werk lediglich einen Euro und weniger. Eigentlich nicht zu glauben, dass dies den Kassen tatsächlich noch „zu teuer“ ist: Denn über 900 dieser Generika werden von den Kassen noch ausgeschrieben, um zusätzliche Preisnachlässe zu erhalten.
Auch Klinikapotheken, die teilweise als Profitcenter funktionieren, geben den wirtschaftlichen Druck in vollem Umfang an Generikaunternehmen weiter. Folge: Für einzelne generische Zytostatika geben Deutschlands Kliniken weniger aus als ein Cappuccino am Bahnhof kostet.
Biosimilars: Chance vertan!
Pro Generika hat sich im Jahr 2012 öffentlich für bessere Rahmenbedingungen für Biosimilars eingesetzt. Der Grund dafür ist klar: Kein Gesundheitssystem der Welt kann es sich leisten, auf mögliche Einsparungen durch Biosimilars zu verzichten.
Bessere Rahmenbedingungen für Biosimilars in Deutschland sind aber offenbar am Bundesministerium für Gesundheit gescheitert. Patienten, Krankenkassen und das Gesundheitssystem insgesamt würden von mehr Biosimilars profitieren. Erst Biosimilars garantieren nachhaltigen Zugang zu diesem High-Tech-Bereich der Arzneimittelversorgung. Was auch immer die politische Agenda gewesen sein mag: Chancen für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung wurden vertan. Für Pro Generika heißt das: Wiedervorlage!
Blick fürs Ganze ist nötig
In einer pluralistischen Gesellschaft ist es die Aufgabe der Politik, das große Ganze im Auge zu behalten. Jahrzehntelang war es ihr Anliegen, die Preise und die Menge auch von Generika zu senken bzw. zu begrenzen.
Es ist höchste Zeit, die systemischen Auswirkungen und damit den Zusammenhang von Preisen, Lieferfähigkeit und Qualität in den Blick zu nehmen. Pro Generika engagiert sich für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung in Deutschland.
Nachhaltig ist dabei nur, was für Krankenkassen wie für Unternehmen wirtschaftlich ist.
Nachhaltig ist dabei nur, was die Anbietervielfalt nicht untergräbt und der Marktverengung entgegenwirkt.
Auf dieser Grundlage geht Pro Generika im Jahr 2013 in den Dialog mit Politik und Stakeholdern.
Verweise
1) | Differences in costs of and access to pharmaceutical products in the EU: Directorate General for internal policies Department A: Economic and scientific policy, Panos Kanavos et al., London School of Economics, März 2011. |
2) | Tender systems for outpatient pharmaceuticals in the European Union: Evidence from the Netherlands and Germany, Panos Kanavos, London School of Economics, Oktober 2012. |
3) | Advancing the responsible use of medicines, IMS Institute for Healthcare Informatics, Oktober 2012. |