Arzneimittelpolitik am Scheideweg?
Dr. Martin Weiser |
Die Bürgerinnen und Bürger stehen vor einem Jahr, das eine Bundestagswahl und den Beginn der 18. Legislaturperiode bringen wird. Aber auch für den BAH und seine Mitgliedsunternehmen wird dies ein richtungsweisendes Jahr. Die letzte Bundestagswahl 2009 bedeutete das Ende der Großen Koalition und die zweite Regierung unter Kanzlerin Merkel, nun allerdings in schwarz-gelber Konstellation. Der BAH hat seinerzeit die den Arzneimittelbereich betreffenden Beschlüsse, beschrieben im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP, grundsätzlich als richtige Schritte in die richtige Richtung bewertet. Der BAH begrüßte den Ansatz im Koalitionsvertrag, die Überregulierung des deutschen Arzneimittelmarktes, welche durch eine Vielzahl sich zum Teil widersprechender Instrumente geprägt ist, abzubauen und unter patienten- und mittelstandsfreundlichen sowie wettbewerblichen Kriterien effizient neu zu gestalten. Dies entsprach den politischen Forderungen unseres Verbandes.
Ernüchterndes Fazit
Wenn man auf den Ausblick des BAH in dieser Zeitschrift zu Beginn der 17. Legislaturperiode zurückblickt, so muss man gestehen, dass die dort geäußerten Erwartungen bitter enttäuscht wurden. Damals hoffte der BAH, dass das Ergebnis der Bundestagswahl und die schwarz-gelbe Koalition zu einem faireren Interessenausgleich und zur Erfüllung unserer steten Forderungen nach „gleichlangen Spießen“ unter den Marktpartnern im Gesundheitswesen beitragen würden. Auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik bläst der Arzneimittelbranche zu Jahresbeginn 2013 der Wind jedoch nicht nur weiterhin scharf, sondern noch schärfer ins Gesicht.
Obwohl bis zur Bundestagswahl im September 2013 kaum noch Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht werden und die Politik mit Wahlkampf beschäftigt sein wird, gibt es für die Arzneimittel-Hersteller sowohl im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherungen wie auf dem Gebiet der Selbstmedikation national wie europaweit weiterhin große Problemfelder, dirigistische Eingriffe und wirtschaftliche Daumenschrauben. Grundsätzliche Verbesserungen, auf die wir Hoffnung setzten und für die wir in den vergangenen Jahren kämpften, gibt es nicht – so auch das ernüchternde Fazit unseres Vorsitzenden, Hans-Georg Hoffmann, in seinem Weihnachtsgruß 2012 an die BAH-Mitgliedsunternehmen.
Kritische Bilanz
Doch kommen wir zurück zur Gegenwart. Meinen Rückblick auf das vergangene Jahr möchte ich mit einer positiven Nachricht beginnen: Seit dem 1. Januar 2012 dürfen die gesetzlichen Krankenkassen OTC-Arzneimittel im Rahmen von Satzungsleistungen erstatten. Allerdings gibt es zwei Wermutstropfen. Denn erstens greift die momentane Regelung zu kurz, da beispielsweise Arzneimittel zur Nikotinersatztherapie trotz ihres nachgewiesenen therapeutischen und gesundheitsökonomischen Nutzens als sogenannte Life-Style-Arzneimittel von der Erstattung ausgeschlossen bleiben. Und zweitens bleiben viele Krankenkassen lieber auf ihren gut gefüllten Kassen sitzen, anstatt das Geld in die Gesundheit und die Versorgung ihrer Versicherten zu investieren.
Leider ist es an dieser Stelle mit den positiven Nachrichten für 2012 schon weitgehend getan: Denn das vergangene Jahr war insbesondere geprägt vom 2. AMG-Änderungsgesetz, der sogenannten 16. AMG-Novelle, und der Umsetzung des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes, kurz AMNOG. Mit der 16. AMG-Novelle hat der Gesetzgeber sowohl die europäische Pharmakovigilanz-Richtlinie als auch die Arzneimittelfälschungs-Richtlinie in deutsches Recht überführt und den Arzneimittel-Herstellern eine Vielzahl zusätzlicher regulatorischer Pflichten auferlegt. Besonders schmerzhaft und in der Sache nicht nachvollziehbar ist aus Sicht des BAH der Entzug des Stimmrechts im Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht. Positiv hingegen ist, dass die seit längerem notwendigen Änderungen des Heilmittelwerberechts, die weitestgehend auf die europäische Rechtsprechung zurückzuführen sind, nun endlich umgesetzt wurden. Zudem konnte der BAH die umfangreichen Meldeverpflichtungen der Arzneimittel-Hersteller gemäß Art. 57 in enger Kooperation mit unserem europäischen Fachverband, der AESGP, auf ein vertretbares Maß zurückführen.
In der Gesundheitspolitik hat insbesondere die Umsetzung des AMNOG unseren vollen Einsatz gefordert. Es bleibt festzuhalten, dass die Machtverhältnisse in diesem System nach wie vor zutiefst ungleich verteilt sind: Vom Unterausschuss Arzneimittel im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), über die Beauftragung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), über das G-BA-Plenum, über die Verhandlungen zum Erstattungsbetrag bis hin zur Schiedsstelle – immer sitzt der GKV-Spitzenverband mit am Tisch. Wer hier vom AMNOG als „lernendem Prinzip“ spricht, kann letztendlich nur den GKV-Spitzenverband meinen. Während die Hersteller im Hinblick auf das Kartellrecht ihre AMNOG-Erfahrungen nicht austauschen dürfen, lernt der GKV-Spitzenverband von Nutzenbewertung zu Nutzenbewertung und von Erstattungsverhandlung zu Erstattungsverhandlung hinzu. Das hierbei gewonnene Wissen spielt er dann gekonnt gegenüber den Herstellern aus. Von einem lernenden System auf Augenhöhe kann somit keine Rede sein. Hinzu kommt: Der Streit um den Erstattungsbetrag zeigt einmal mehr, dass es dem GKV-Spitzenverband nicht um einen fairen Interessenausgleich zwischen den Arzneimittel-Herstellern und der Solidargemeinschaft geht, sondern um das Erreichen größtmöglicher Einsparungen. Das Patienteninteresse droht dabei wie schon so oft auf der Strecke zu bleiben. Hervorzuheben ist allerdings, dass sich die Zusammenarbeit der vier Herstellerverbände BAH, BPI, ProGenerika und vfa so intensiv und so gut wie selten zuvor darstellt.
Erfolgsprojekt securPharm
Eine solche Zusammenarbeit, verstärkt durch Apotheker und Großhandel, findet sich auch bei securPharm. Die Vorbereitungen des Pilotprojekts haben im BAH 2012 breiten Raum eingenommen. Der Lohn dafür ist, dass das Projekt am 1. Januar 2013 termingerecht starten konnte. Wir wollen mit den Ergebnissen aus diesem Pilotprojekt die Umsetzung der Arzneimittelfälschungsrichtlinie im Sinne der Arzneimittel-Hersteller und der Handelsstufen Großhandel und Apotheke einer praxisgerechten Lösung zuführen. Wenn es uns gelingt, ein Stakeholder-Governance-Modell zu etablieren, dann werden die Marktbeteiligten dauerhaft einen Rahmen und Abläufe schaffen, die auch die Kosten für die Unternehmen auf einem vertretbaren Level halten können. Insofern ist der personelle und finanzielle Aufwand heute eine gute Investition in die Zukunft.
Selbstmedikation ist und bleibt eine tragende Säule
Die Selbstmedikation ist und bleibt eine tragende Säule des BAH. Aber auch wenn wir, wie oben erwähnt, aus 2012 „Positives“ wie die Satzungsleistungen berichten können, so ist und bleibt die Selbstmedikation seit dem Erstattungsausschuss im Jahre 2004 ein Sorgenkind. Der BAH hat sich daher 2012 intensiv mit den Vorbereitungen für mögliche Kampagnen beschäftigt. Dabei hat die gemeinsam mit der Agentur Rheingold durchgeführte Befragung wichtige neue Erkenntnisse erbracht, aber auch bekannte Marktforschungsergebnisse wie etwa zum Grünen Rezept bestätigt. Im diesem Jahr gilt es nun, die Erkenntnisse in strategische Maßnahmen umzusetzen. Das ist sicherlich alles andere als leicht oder gar trivial, sondern bedeutet eher „ein dickes Brett“, das es zu bohren gilt.
2013 im Zeichen der Bundestagswahl
Das Jahr 2013 steht ganz im Zeichen der Bundestagswahl. Auch die Gesundheitspolitik wird sicherlich wieder eine wesentliche Rolle einnehmen. Wünschenswert wäre eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte zu dem Fragenkomplex: Wie viel Gesundheit können und wollen wir uns als Gesellschaft leisten? Wie kann eine moderne und an den Patienteninteressen orientierte Arzneimittelversorgung ausgestaltet werden – und das bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Herausforderungen einer alternden Gesellschaft und der berechtigten Interessen der Arzneimittel-Hersteller? Eine bloße Fortsetzung der seit Jahren praktizierten Kostendämpfungspolitik scheint kein zukunftsweisender und erfolgsversprechender Lösungsansatz zu sein. Vielmehr gilt es den Blick zu weiten und das Gesundheitswesen und die Gesundheitswirtschaft als Chance zu begreifen.
Credo des BAH unverändert
Selbstverständlich wird der BAH auch 2013 im Hinblick auf die Bundestagswahl seine Gedanken, Forderungen und Lösungsvorschläge für den Erhalt eines leistungsfähigen Gesundheitswesens mit einer modernen und adäquaten Arzneimittelversorgung sowohl für den GKV-Bereich, als auch für die Selbstmedikation, aber auch im regulatorischen Umfeld, öffentlich artikulieren. Die Herausforderungen sind unverändert groß und es besteht kein Grund für die Arzneimittel-Hersteller und den BAH, insbesondere im Wahljahr 2013 und ein Jahr vor dem 60-jährigen Bestehen des Verbandes, sich auf Erreichtem auszuruhen.
pharmind 2013, Nr. 1, Seite 11