Ausblick auf 2014
Henning Fahrenkamp |
Die Gesundheitspolitik im Jahre 2014 könnte sich eigentlich tatsächlich um die großen Fragen des Gesundheitswesens drehen. Als da wären: die nachhaltige Finanzierung für die nächsten Jahrzehnte sicherzustellen, die Krankenhausfinanzierung neu zu gestalten oder für die Arzneimittelindustrie Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen sicher sein kann, auch noch in zehn oder 20 Jahren eine in Deutschland ansässige Pharmaindustrie zu haben, die hier forscht, entwickelt und produziert. Die gesetzliche Krankenversicherung ist in einer finanziellen Situation, die historisch ihresgleichen sucht. Nie da gewesene Überschüsse von rund 30 Mrd. Euro waren vor einigen Jahren, als die letzte große Gesundheitsreform eingeführt wurde, Traumszenarien und schlichtweg unvorstellbar. Diese zum größten Teil von den Versicherten und der pharmazeutischen Industrie geleisteten Finanzmittel, die zu dieser komfortablen finanziellen Situation führten, könnten der Gesundheitspolitik den Raum und die Zeit geben, die großen Fragen anzugehen. Doch weit gefehlt. Ich kann mich nicht an ein so hektisch durchgedrücktes Gesetz zu Lasten der Pharmaindustrie erinnern, wie wir es jetzt in dieser Legislaturperiode in der letzten Sitzungswoche des Dezember erleben mussten – und das in einer Situation mit 30 Mrd. Euro auf der hohen Kante.
Planwirtschaftliches Handeln
Schon nach den ersten Handlungen der neuen großen Koalition muss man sich fragen, ob die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages tatsächlich ernst gemeinte Absichtserklärungen oder doch nur Worthülsen waren. Im Koalitionsvertrag wird davon gesprochen, dass man ressortübergreifend miteinander gestalten möchte – auch unter Einbeziehung der Arzneimittelhersteller. Man will den Standort stärken, so dass hier auch weiter geforscht und produziert werden kann. Doch nach den ersten beiden gesetzgeberischen Maßnahmen bleibt abzuwarten, ob dies mehr als reine Lippenbekenntnisse sind.
Mit der ersten Regierungshandlung hat die Große Koalition entschieden, die nächsten vier Jahre mit planwirtschaftlichen Elementen weiter zu agieren: Mit dem ersten Gesetzesvorhaben wird der staatlich erzwungene Preisstopp weitergeführt und in einem zweiten Gesetz der Zwangsabschlag von 6 auf 7 % angehoben. Dabei sind keinerlei Maßnahmen vorgesehen, um Härtefälle wirksam zu entlasten oder um den Unternehmen das Bekenntnis zum Standort Deutschland zu erleichtern. Erleichterungen, die nach vier Jahren gesetzlichen Preismoratoriums und eines 16-prozentigen Zwangsabschlages dringend notwendig wären. Mit der Veränderung des Zwangsabschlages trifft man zudem Arzneimittel, die bis dato nicht unter den erhöhten Abschlag fielen. Insbesondere für erstattungsfähige OTC-Arzneimittel und für Generika ist die Erhöhung um einen Prozentpunkt eine echte, ernstzunehmende Belastung. Besonders fragwürdig ist hierbei, dass man sich als neue Regierung noch nicht einmal die Zeit nimmt, um einen derart gravierenden Eingriff in die Eigentumsrechte der Unternehmen, wie das Preismoratorium, einem geordneten parlamentarischen Verfahren zu unterziehen. Ohne Inflationsausgleich, ohne Ausnahmetatbestände ist das ein Eingriff, der den Glauben an die Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten im Gesundheitswesen erschüttert. Die Erhöhung des Zwangsabschlages greift außerdem auch in abgeschlossene bzw. laufende Rabattverträge ein. Die Unternehmer rechnen hier bis auf die vierte Stelle hinter dem Komma, da ist ein weiteres Prozent Abschlag einfach nicht mehr drin. Besonders kritisch wird das Ganze auch noch, wenn man lesen muss, dass der Zwangsabschlag je nach GKV-Finanzsituation angepasst werden kann. Den Krankenkassen wird hier die Möglichkeit gegeben, die eigene Finanzlage durch den Griff ins Portemonnaie der pharmazeutischen Industrie zu verbessern. Warum spricht eigentlich niemand in diesem Zusammenhang von den Verwaltungskosten der Krankenkassen?
Der Aufruf des Bestandsmarktes
Ein besonderes Beispiel für verzerrte Wahrnehmung ist die mediale Berichterstattung über das Ende des so genannten Bestandsmarktaufrufes. Es ist richtig, dass dieser Aufruf nun nicht stattfinden soll, denn alle Fehler und Fragwürdigkeiten der frühen Nutzenbewertungen würden auf viele andere Arzneimittel ausgedehnt. Dies aber mit dem Preismoratorium zu koppeln ist nicht in Ordnung, denn die beiden Maßnahmen betreffen zum Teil ganz unterschiedliche Marktsegmente und Hersteller. Und es bleibt außerdem festzustellen: Diese Forderung kam vom Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), weil er eingesehen hat, dass dieser Aufruf für den G-BA bei überschaubarem Einsparvolumen sehr viel Arbeit bedeuten würde und viele Fragen hinsichtlich der Rechtssicherheit birgt. Wenn die Politik also nun den Bestandsmarktaufruf und auch die laufenden Verfahren beendet, ist das kein Kniefall vor der pharmazeutischen Industrie.
Substitutionsliste – ein erster Schritt
Hinsichtlich des Gemeinsamen Bundesausschusses ist eine Forderung im Koalitionsvertrag zumindest ein Schritt in die richtige Richtung und hat bereits Wirkung gezeigt, ohne dass das Gremium überhaupt mit der Umsetzung begonnen hat. Der G-BA wurde im Koalitionsvertrag ja damit beauftragt, die sogenannte Substitutionsliste endlich zu erstellen, über die sich Apotheker und GKV-Spitzenverband lange nicht einigen konnten. Jetzt haben sich diese im Rahmen des Schiedsstellenverfahrens doch geeinigt und endlich einen ersten Schritt getan, um chronisch kranken Menschen mehr Sicherheit zu geben. Erstmals werden nun Wirkstoffe definiert, deren ärztlich verordnete Medikamente nicht mehr zugunsten von preiswerteren Rabattarzneimitteln ausgetauscht werden dürfen. Mit dieser lange überfälligen Einigung wird endlich einem ungehinderten, ausufernden Austausch von Medikamenten ein Riegel vorgeschoben. Denn in der bisher von einigen Kassen gelebten Form gefährdet der Austausch die Gesundheit von chronisch kranken Menschen. Es ist bedauerlich, dass die Einigung überhaupt so lange gedauert hat. Schon Anfang 2013 hatten die Apotheker eine Liste mit Wirkstoffen benannt, die unter das Austauschverbot fallen sollten. Doch erst jetzt im Schiedsverfahren konnte sich der GKV-Spitzenverband den medizinischen Argumenten nicht mehr länger verweigern. Man kann der Schiedsstelle und ihrem Vorsitzenden nur danken, dass man den Kampf um eine medizinisch vertretbare Lösung nicht aufgegeben hat. Doch mit den ersten beiden Wirkstoffen ist nur ein erster Schritt gemacht. Es wird abzuwarten sein, ob sich die Kassenseite weiterhin an die pharmazeutischen und medizinischen Argumente hält oder wieder den Blick wie bisher ausschließlich auf die Kostenseite und vermeintliche Einsparungen lenkt. Die Politik wird sicherlich ein Auge darauf haben.
Lernendes System
Nicht anders ist es auch zu verstehen, dass dem Spitzenverband bei den Erstattungsbetragsverhandlungen im Rahmen des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung ein Kassenvertreter an die Seite gestellt werden soll; als Regulativ und Sachwalter im Interesse der Versorgungsrealität. Fraglich, ob ein Kassenvorstand hier geeignet ist, aber auf jeden Fall ist diese poltische Erklärung für den Spitzenverband eine schallende Ohrfeige. Ansonsten bleiben die Aussagen im Koalitionsvertrag ebenfalls sehr schwammig. Es wird einmal mehr vom lernenden System gesprochen. Dieser Begriff ist euphemistisch, inzwischen wirkt er geradezu zynisch. Wer jahrelang lernt, ohne eine Verbesserung seines Ergebnisses zu erzielen, muss sich doch fragen, ob da nicht was falsch läuft. Zudem bietet dieser Begriff den Beteiligten ein wunderbares Feigenblatt, um drastische Fehler bei der Einschätzung zu verharmlosen. Wir finden, dass man mit der Versorgung und dem wirtschaftlichen Überleben von Unternehmen nicht lernende Systeme beauftragen darf.
Resümee
Schon aus diesen kurzen Blicken auf den Koalitionsvertrag wird deutlich, dass 2014 kein gutes Jahr für die pharmazeutische Industrie zu werden scheint. Politik muss aber endlich den eigenen Ansprüchen im Koalitionsvertrag gerecht werden. Politik muss verstehen, dass wir nur dauerhaft eine hochwertige flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln haben, wenn es möglich ist an diesem Standort hier in Deutschland zu forschen, zu entwickeln und zu produzieren. Es ist nicht hinnehmbar, wenn je nach Kassenlage auf die Finanzmittel der pharmazeutischen Industrie zurückgegriffen wird. Nachdem man bei der Honorarbemessung der Ärzte den floatenden Punktwert abgeschafft hat, damit Ärzte mehr Planungssicherheit für ihre Praxen bekommen, kann man jetzt keinen floatenden Rabatt einführen, den der Gesundheitsminister je nach Bedarf der gesetzlichen Krankenversicherung verändern kann. Planungssicherheit am Standort sieht anders aus. Viele Unternehmen, insbesondere standortgebundene und mittelständische, sind nicht mehr in der Lage, weitere Belastungen, ob durch gesetzliche Zwangsmaßnahmen oder von Kassenmonopolen erzwungene Rabatte zu schultern. Nur wenn dieses Verständnis Einzug hält in die politischen Entscheidungsgremien sowie in die Entscheidungsgremien der Selbstverwaltung, wird sie dauerhaft die hochwertige Arzneimittelversorgung der Menschen in Deutschland sicherstellen können.
pharmind 2014, Nr. 1, Seite 6