Quo vadis Arzneimittelpolitik?
Dr. Martin Weiser |
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“, heißt es so schön bei Hermann Hesse. Ob das auch für die Gesundheitspolitik oder noch konkreter die Arzneimittelpolitik der neuen Bundesregierung gilt, darf mit Blick in den Koalitionsvertrag bezweifelt werden. Denn enttäuscht muss man derzeit leider feststellen, dass auch die Große Koalition kaum etwas ändern will: Seit Jahren befindet sich die Branche im Zangengriff gesetzgeberischer Maßnahmen. Auf der einen Seite übt eine kaum noch überschaubare Anzahl sozialrechtlicher Maßnahmen einen enormen Druck auf die Arzneimittelpreise aus. Auf der anderen Seite steigen die Kosten für die Unternehmen immer weiter in die Höhe. Zwar beabsichtigt die neue Regierung, den Bestandsmarktaufruf endgültig zu beenden. Was jedoch bleibt, sind die zahlreichen anderen Instrumente, die primär der Kostendämpfung als einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung dienen.
Neue Gesetzesvorhaben belasten Unternehmen weiterhin
Besonders kritisch sehen viele Unternehmen die Fortführung des Preismoratoriums, dessen Auslaufen die Politik für Ende 2013 gesetzlich verbrieft hatte. Erschwerend hinzu kommt ein von 6 auf 7 % erhöhter Herstellerabschlag. Beides Maßnahmen, die die Große Koalition als Kompensation für die Beendigung des Bestandsmarktaufrufes beschlossen hat. Unverhältnismäßig stark betroffen sind insofern die vielen kleinen und mittelständischen Hersteller, die sich auf den deutschen Arzneimittelmarkt konzentrieren, sowie die Generikaunternehmen, die explizit nicht Adressaten des Bestandsmarktaufrufs waren. Insbesondere das Einfrieren der Preise auf den Stand August 2009 ist weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar. Während Unternehmen der öffentlichen Hand regelmäßig ihre Gebühren- und Preiserhöhungen mit gestiegenen Einkaufspreisen, Energie- und Lohnkosten begründen, wird dies der Arzneimittelbranche in toto verwehrt. Setzt sich die Große Koalition mit ihrem Vorhaben durch, dann dürfen Hersteller ihre Preise bis Ende 2017 noch nicht einmal in Höhe der Inflationsrate anheben. Der BAH setzt sich daher dafür ein, das Preismoratorium nicht fortzuschreiben. Zumindest sollte der Gesetzgeber differenziert vorgehen und daher festbestragsgebundene sowie generische Arzneimittel vom Preisstopp ausschließen. Sollte die Politik eine Fortführung des Preismoratoriums aufgrund eines befürchteten Defizits in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als unausweichlich ansehen (Notabene: Derzeit sitzt die GKV auf einem Finanzpolster von etwa 30 Mrd. Euro), spricht sich der BAH für eine Befristung des Stopps bis Ende 2014 aus. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, die Situation sowie mögliche Alternativen und Lösungsvorschläge mit den Betroffenen zu diskutieren.
Auch bei der geplanten Erhöhung des Herstellerabschlags plädiert der BAH mit Blick auf die unterschiedlichen Marktsegmente für ein differenziertes Vorgehen. So sollte die von 6 auf 7 % geplante Erhöhung des Herstellerabschlags ausschließlich auf verschreibungspflichtige und nichtfestbetragsgebundene Arzneimittel beschränkt sein.
OTC-Erstattung ausweiten
Viel zu tun bleibt zudem im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel (OTC). Denn seitdem die gesetzlichen Krankenkassen OTC-Präparate weitestgehend nicht mehr erstatten, haftet den betroffenen Arzneimitteln an, dass sie nicht die entsprechende Wertigkeit hätten. Das ist paradox, sind es doch gerade diese Arzneimittel, die wegen ihrer Wirksamkeit, aber insbesondere aufgrund ihrer Unbedenklichkeit und Anwendungssicherheit aus der Verschreibungspflicht entlassen worden sind. Der BAH fordert daher, dass die gesetzlichen Krankenkassen OTC-Arzneimittel in bestimmten Fällen wieder erstatten dürfen, ohne dabei die Grundsatzentscheidung zum Erstattungsausschluss aus dem Jahr 2004 in Frage zu stellen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die 2012 geschaffene Möglichkeit für Krankenkassen, OTC-Arzneimittel im Rahmen von Satzungsleistungen zu erstatten. Der BAH setzt sich daher dafür ein, dass die Krankenkassen diese Möglichkeiten nutzen und ihre bestehenden Angebote ausweiten. Jedoch müssen aus Sicht der Hersteller weitere Schritte folgen: Hierzu gehört die uneingeschränkte OTC-Erstattungsfähigkeit auch für Jugendliche im Alter bis 18 Jahren. Denn es sind gerade die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die sich für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen oftmals besonders eignen.
Auch bei älteren Patienten ab 65 Jahren mit Polymedikation sollte darüber nachgedacht werden, das politisch forcierte und medizinisch notwendige Medikationsmanagement zwischen Patienten, Arzt und Apotheken zu erweitern. Künftig sollte der Arzt die Möglichkeit erhalten, therapiegerecht auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der GKV zu verordnen. Zumindest sollten die Krankenkassen im Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit und im Rahmen einer kostengünstigen, gesamttherapeutischen Betrachtung die Erstattungsfähigkeit bei den Verträgen der hausarztzentrierten Versorgung ernsthaft verfolgen. Darüber hinaus sollten OTC-Präparate im Rahmen von strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP) Teil des GKV-Leistungskatalogs werden. Wenn ein Arzneimittel eine sinnvolle therapeutische Maßnahme innerhalb eines Gesamtkonzeptes darstellt, mindert der Erstattungsausschluss eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels den Erfolg des gesamten DMP. Hierzu bedarf es aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen einer eindeutigeren gesetzlichen Legitimation. Zudem wirbt der BAH dafür, die Rahmenbedingungen in den Switch-Verfahren zu verbessern. Ebenso wie im Zulassungsverfahren sollte auch die Entlassung eines Arzneimittels aus der Verschreibungspflicht transparent und strukturiert ablaufen. Der BAH hat dazu ein entsprechendes Konzept erarbeitet.
Regulatorische Anforderungen treiben Kosten in die Höhe
Neben den sozialrechtlichen Herausforderungen wirken sich insbesondere die gestiegenen regulatorischen Anforderungen belastend auf die Unternehmen aus. Ein Beispiel hierfür ist das EU-Pharmapaket, dessen Auswirkungen auch in diesem Jahr zu steigenden Kosten auf Seiten der Unternehmen führen werden. Dabei berufen sich die europäischen Richtlinien und Verordnungen nahezu immer auf das Ziel der „Entbürokratisierung“. In der Tat wäre aus Sicht der Hersteller ein weitgehender Bürokratieabbau sinnvoll und notwendig – leider sieht die Umsetzung in der Regel anders aus. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen bedeuten die geänderten Rahmenbedingungen zumeist eine erhebliche Herausforderung, die es – wie auch immer – zu stemmen gilt.
Ausblick für 2014
Was bleibt als Wunsch für das neue Jahr 2014 und für die neue Legislaturperiode? Grundsätzlich sollten Politik und Gesellschaft sich stets vor Augen führen, dass Arzneimittel – unabhängig von ihrem Vertriebsstatus – einen unverzichtbaren Beitrag für eine effiziente Gesundheitsversorgung leisten. Das ist aber nicht zum Nulltarif möglich. Hier braucht es eine kritische Evaluierung der seit 2004 beginnend mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) bis hin zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) ergriffenen Maßnahmen und ihrer Konsequenzen. Insofern ist es zu begrüßen, dass die neue Koalition einen ressortübergreifenden Dialog unter Beteiligung von Wissenschaft und Herstellern einrichten will, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Gern stehen wir als BAH hierzu bereit. Darüber hinaus wollen wir konstruktiv am Erhalt eines leistungsfähigen Gesundheitswesens, das sich an den Bedürfnissen der Patienten und Verbraucher orientiert, mitarbeiten. Dies gilt sowohl für den Erstattungs- und Selbstmedikationsbereich, als auch für die Themen im regulatorischen Umfeld. Die Herausforderungen, denen wir uns hierbei zu stellen haben, sind unverändert groß. Der BAH wird daher auch im 60. Jahr seines Bestehens diese Herausforderungen gemeinsam mit den Mitgliedsunternehmen und den Partnern im Gesundheitswesen meistern.
pharmind 2014, Nr. 1, Seite 4