Der Koalitionsvertrag und die Pharmaindustrie
Birgit Fischer |
Der Koalitionsvertrag steht, die Leitgedanken der neuen Regierung aus CDU/CSU und SPD sind für die nächsten vier Jahre formuliert und mit besonderem Tempo in Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages übersetzt worden. Mit zwei Gesetzentwürfen, die zum Teil blitzartig alle parlamentarischen Verfahren durchliefen, hat die Koalition begonnen, den Koalitionsvertrag in Bezug auf Arzneimittelfragen umzusetzen. Damit sollten zum Jahreswechsel 2013/2014 auslaufende Regelungen im Arzneimittelbereich gesetzliche Folgeregelungen erhalten. Im Grundsatz ist der eingeschlagene Weg für die pharmazeutische Industrie in Ordnung. Denn sie hatte sich so schnell wie möglich Klarheit gewünscht, um ihre Planungen darauf abstellen zu können. Dem tragen die beiden Gesetzentwürfe vom Verfahren her gesehen Rechnung.
Die wichtigsten Punkt sind zweifelsohne:
Ein 7 %iger Zwangsrabatt
Eine nahtlose Fortsetzung des Preismoratoriums
Das Einstellen der Aufrufe des Bestandsmarktes
In der Sache sind jedoch wichtige Passagen für die forschenden Pharma-Unternehmen schwer nachvollziehbar. Dies werden wir im Rahmen der nun folgenden weiteren parlamentarischen Verfahren auch adressieren. Entscheidend ist für die Industrie eine Lösung als Gesamtpaket der geplanten Änderungen. Erst wenn das Gesamtpaket geregelt ist, ist für alle Seiten Rechts- und Planungssicherheit gewährleistet.
Für den neuen Gesundheitsminister gilt: Vor ihm liegen große Herausforderungen. Er wird daran gemessen werden, wie die Versorgung der Patientinnen und Patienten in einer Gesellschaft des langen Lebens gelingt. Heute bleiben Potenziale ungenutzt, weil viele Akteure kaum über ihren eigenen Bereich hinaus blicken. Die Akteure des Gesundheitswesens – dazu gehört auch die pharmazeutische Industrie – brauchen größere Gestaltungsfreiräume um abgestimmt zusammenzuarbeiten, um eine bestmögliche Versorgung der Patienten und Patientinnen zu gewährleisten.
Eine neue Perspektive ist auch gefragt bei der Bewertung von Medikamenten. Wie eine Studie von Prof. Matthias Schönermark von der Unternehmensberatung SKC belegen konnte, greift das aktuelle Verfahren der frühen Nutzenbewertung zu kurz. Um den Nutzen eines Medikaments vollständig zu erfassen, sollten weitere Aspekte in den Blick genommen werden: Lebensqualität, Verhinderung von Folgekosten, eine langfristige Betrachtung der Einsparungen, die hochwertige Medikamente mit sich bringen, etwa in der Pflege, wie es auch in anderen Ländern längst praktiziert wird. Eine unzureichende Nutzenbewertung behindert den medizinischen Fortschritt. Sie hat negative Folgen in der Patientenversorgung und für die Industrie, die für das Ergebnis ihrer Forschung und Entwicklung und damit für den Wert ihrer Produkte keine angemessene Anerkennung erfährt.
Der von der Politik angekündigte Dialog kann eine gute Plattform sein, um diese für die Patientenversorgung und für die Industrie hochrelevante Diskussion zu Innovationen und Bewertungsverfahren aufzugreifen. Diese Diskussionen zeigen: Auch in der kommenden Legislaturperiode gibt es viel zu tun. Für die Gesundheitspolitik – und für uns.
Massive verfassungsrechtliche Bedenken gegen Flexi-Rabatt!
Die Fortführung des Zwangsrabattes mit jetzt 7 % und jährlicher Überprüfung ab 2015 droht zu einem Flexi-Rabatt nach allgemeiner Finanzlage zu werden. Gegen diesen Grundrechtseingriff bestehen massive verfassungsrechtliche Bedenken!
Für die (Wieder-)Einführung eines solchen erhöhten Flexi-Zwangsrabattes „nach Kassenlage“ fehlt jedenfalls jede Grundlage: Angesichts der guten Finanzsituation fehlt es schon lange an einem vernünftigen Grund des Gemeinwohls, der unter dem Gesichtspunkt der „finanziellen Stabilität der GKV“ solche gravierenden Eingriffe rechtfertigen könnte. Im Übrigen haben die Arzneimittelhersteller bereits über die Jahre 2010 bis 2013 einen Solidarbeitrag von etwa 5,2 Mrd. Euro an direkten Rabatten geleistet.
Preismoratorium braucht zumindest Inflationsausgleich!
Ein auf mehrere Jahre festgeschriebenes Preismoratorium ohne Inflationsausgleich ignoriert Kostensteigerungen für Unternehmen, führt zu einer schleichenden Enteignung und ist damit ebenfalls grundrechtsrelevant. Im Zeitraum 2009 bis 2013 hat sich die Belastung der Industrie durch das Preismoratorium auf rund 2 Mrd. Euro angehäuft. Bei einem fortgesetzten Einfrieren auf dem Preisstand 2009 erhöht sich die jährliche Belastung 2014 auf 1,0 und 2015 auf 1,2 Mrd. Euro und ist in den nächsten Jahren weiter ansteigend, da sich eine einmal entstandene Lücke nicht mehr schließen lässt.
Ein langjähriges Preismoratorium bedarf also zumindest einer Berücksichtigung der allgemeinen Preisentwicklung. Dies könnte aus unserer Sicht in Form einer Anpassung des Preisniveaus in Höhe der Inflationsrate geschehen.
Interdisziplinärer Dialog als Chance
Die Vereinbarung zum interdisziplinären Dialog gehört zum erfreulichen Teil der Koalitionsvereinbarung im Bereich Wirtschafts- und Gesundheitspolitik. Es braucht eine ganzheitliche Sicht um die Herausforderungen einer Gesellschaft des längeren Lebens zu bewältigen und den Wohlstand für die Gesellschaft zu bewahren. Lösungen für eine gute Versorgung bei gleichzeitig begrenzten finanziellen Ressourcen zu finden, wird nur bei einer Betrachtung möglich, die über den Bereich der Gesundheitspolitik hinaus den gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen in den Blick nimmt.
Zukünftig sollen also nicht allein die Gesundheitspolitik, sondern auch das Forschungs- und das Wirtschaftsressort gefragt sein, wenn es um nachhaltige Zukunftspolitik in der Gesundheit geht. Auch die AMNOG-Erfahrungen werden unter diesen Gesichtspunkten neu beleuchtet werden müssen.
Politik braucht den Diskurs und muss definieren, wie die Patientinnen und Patienten zukünftig versorgt werden sollen und wie der Zugang zu medizinischen Innovationen gewährleistet werden kann. Sie steht in der Pflicht, die Ziele und den Rahmen dafür zu setzen.
Gleichzeitig sind Regulierungen, die Versorgung und Innovationen begrenzen, für Problemlösungen ungeeignet. Stattdessen brauchen Patienten und Gesundheitswirtschaft eine Politik, die Gestaltungsspielräume eröffnet und den einzelnen Akteuren die Möglichkeit unterstützender Rahmenbedingungen gibt, um Lösungen zu diskutieren und im besten Fall gemeinsam zu erarbeiten. Gelingen wird dies nur mit politischen Anreizen für Kooperationen und der Bereitschaft über den „eigenen Tellerrand“ hinaus zu schauen und zu planen.
Da in diesem Szenario alle für Patienten relevanten Partner zusammenwirken müssen, sind Unternehmen ebenso gefordert wie die Bereiche der Gesundheitsversorgung. Es müsste gemeinsam definierte und vereinbarte Ziele der einzelnen Akteure geben. Auch die pharmazeutische Industrie ist gefordert mit ihren spezifischen Kompetenzen zur Lösungsfindung beizutragen.
Der vfa und seine Mitgliedsunternehmen werden sich in den interdisziplinären Dialog einbringen und im Sinne einer ganzheitlichen Sicht ihre Expertise einbringen.
pharmind 2014, Nr. 1, Seite 10