Chancen erzeugen, Chancen meistern
Dr. Jan Oliver Huber |
Ein positives Investitionsklima, die Weiterentwicklung des Standortes, die Förderung der Forschung, die Beschleunigung des Reformtempos – Österreich steuert unaufhaltsam auf die Weltspitze zu oder ist dort schon längst angelangt und muss nur noch seine Spitzenposition verteidigen.
Schön wär’s. Österreichische Politiker zeichnen mit ihren Aussagen ein visionäres Bild von Österreich, das in der Realpolitik in wichtigen Bereichen seiner Grundlage entbehrt, wie wir im vergangenen Jahr eindrücklich vor Augen geführt bekommen haben. Dazu einige Zahlen im Vergleich: der Anteil der öffentlichen Hand an den gesamten Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung lag um 0,4 Prozentpunkte niedriger als im Jahr davor (37,7 % im Jahr 2014 vs. 37,3 % im Jahr 2015 (Schätzung lt. Statistik Austria)), 359 293 Arbeitslose Ende November 2015 (+ 27 537 bzw. + 8,3 % im Vergleich zu November 2014) und damit eine Arbeitslosenquote von 9,2 % (November 2014: 8,6 %).
Wo also stehen wir wirklich? Es ist nichts gegen Visionen einzuwenden. Ohne ein motivierendes Ziel vor Augen lässt sich keine Strategie verfolgen. Allerdings sollte die Vision erst dann als Realität verkauft werden, wenn sie das auch wirklich ist. Positiv ist, dass die Zahl an Bruttoinvestitionen tatsächlich zunimmt, nachdem sie bis inklusive erstem Quartal 2015 noch rückläufig war. Bei der Handelsbilanz verzeichnet Österreich zwar immer noch ein Defizit, aber dieses betrug bis zum 3. Quartal 2015 nur mehr 1,17 Mrd. Euro (nach 2,11 Mrd. Euro in der Vorjahresperiode).
Ros(t)iger Pharmastandort
Aus Sicht der pharmazeutischen Industrie war vor allem ein Vorstoß aus der Politik nicht dazu angetan, die Attraktivität Österreichs als Pharmastandort zu erhöhen: die Androhung eines Zwangsrabatt-Gesetzes.
Grund dafür waren Steigerungsraten bei den Arzneimittelausgaben von bis zu acht Prozent. Zwar sanken diese ab Sommer 2015 wieder, aber in der Öffentlichkeit war bereits etabliert: die innovativen Arzneimittel treiben die Ausgaben der Krankenkassen in die Höhe und bringen die Kassen an ihre Grenzen.
Was innovative Arzneimittel aber leisten können, das ging in der Diskussion um deren Preis unter. Eine mögliche vollständige Heilung wie bei Hepatitis C und damit der gänzliche Wegfall für die Behandlung einer bis dato chronischen Erkrankung, Menschen, die ins Arbeitsleben zurückkehren – all das relativiert den Preis eines innovativen Arzneimittels. Dieser Aspekt lässt sich aber nicht so plakativ darstellen wie eine Tablette, die einen Preis von jenseits der 700 Euro hat.
Oft wurde unsere Kritik am Zwangsrabatt per Gesetz mit der deutschen Gesetzeslage zu nivellieren versucht. Völlig außer Acht gelassen wurde dabei aber die Tatsache, dass das deutsche System nicht 1:1 mit unserem zu vergleichen ist. Schon in den Verhandlungen um die Aufnahme eines Produktes in den Erstattungskodex wird in Österreich der EU-Durchschnittspreis als Obergrenze herangezogen. Hinzu kommen individuell mit dem Hauptverband ausverhandelte Rabatte.
Vertrag vor Gesetz
Unsere Haltung war stets: Vertrag vor Gesetz. Denn wir sind überzeugt, dass ein Vertrag die notwendige Flexibilität schafft, um reale Entwicklungen abbilden und integrieren zu können. Letztlich waren wir erfolgreich und haben einen neuen Rahmen-Pharmavertrag, den alle pharmazeutischen Unternehmen unterzeichnet haben und mittragen.
Das war kein leichter Weg und bedeutet für die Unternehmen in den nächsten Jahren große finanzielle Belastungen. Die Industrie steht gut da, aber sie ist keine „Weihnachtsgans“, die man nach Lust und Laune ausnehmen kann. 18 000 großteils hoch qualifizierte Arbeitskräfte, zwölf Prozent mehr Exporte als Importe, über 2,7 Mrd. Euro an Produktionsleistung, 285 Mio. Euro an Forschungsausgaben des Wirtschaftszweiges „pharmazeutische Erzeugnisse“, über 500 klinische Studien mit über 6 000 Patienten – all das ist die pharmazeutische Industrie Österreichs und es sollte jenen etwas wert sein, diese Qualitäten zu erhalten, die die Rahmenbedingungen mit festlegen.
Eindrückliche Bilanz des Miteinanders
Die pharmazeutische Industrie schafft in Kooperation mit Systempartnern einen nachweislichen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten. Auch hier ist der seit 2008 bestehende und 2011 verlängerte Rahmen-Pharmavertrag eine wichtige Basis: darin wurde festgehalten, dass ein Teil des Solidarbeitrages zweckgebunden zu verwenden sei, und zwar für die Finanzierung von Projekten zur Kindergesundheit und Prävention.
36 Projekte sind mit diesen Fördermitteln seit 2011 unterstützt worden. 36 Projekte, die über ganz Österreich verstreut unmittelbaren Nutzen für die Bevölkerung schaffen. 36 Projekte, die die Bevölkerung für Zahnprophylaxe sensibilisieren, die den Tabakkonsum verringern sollen, die Unterstützung für Familien mit Kindern mit Essstörungen anbieten, die Lust auf gesunde Ernährung schon im Kindergartenalter machen und vieles mehr.
Offenheit und Transparenz
Wir leisten vieles und sehen uns als verlässlicher Partner und Gestalter des Gesundheitswesens. Was wir wollen: ein faires Miteinander. Das haben wir im vergangenen Jahr wieder deutlich gemacht, und zwar mit weiteren Schritten in Richtung mehr Transparenz.
Dabei müssen aber alle Betroffenen am selben Strang ziehen. Unsere Bemühungen, Unterstützungsleistungen und Honorare offen zu legen, können nur dann umgesetzt werden, wenn unsere Partner mit derselben Überzeugung dazu bereit sind. Es sollte sich niemand unwohl fühlen, mit der pharmazeutischen Industrie zusammenzuarbeiten, denn eines ist klar: Nur durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Industrie sind Innovationen im Arzneimittel- und Therapiesektor überhaupt möglich.
Und auf anderer Ebene unterstützen wir gerne Patientenorganisationen, weil wir wissen: Wenn sie ihre Rechte durchsetzen können, stärkt das die Patienten, gibt ihnen mehr Selbstbestimmung und ermöglicht letztendlich einen fairen Diskurs auf Augenhöhe. Immerhin wird oft der Satz zitiert: Patienten wissen am besten über ihre Krankheit Bescheid. Wir lernen von ihnen und können uns bei Forschung und Entwicklung sowie bei Serviceangeboten noch besser darauf einstellen.
Herausforderungen und Chancen
Wir wissen: in Kooperation ist mehr zu erreichen. Und es ist gleich, ob es Partner in Wirtschaft, Politik, Medizin sind oder ob es die Bevölkerung ist. Wir begegnen den Herausforderungen, denen sich die Industrie stellen muss, stets in einem pro-aktiven Zugang.
So haben wir uns gemeinsam mit den Apothekern im vergangenen Jahr verstärkt auch dem Thema Lieferschwierigkeiten gewidmet. Dank eines neuen, elektronischen Warenverzeichnisses helfen wir, die Servicequalität der Apotheker zu erhöhen und bieten ihnen die Möglichkeit, bei Lieferschwierigkeiten rasch und unkompliziert auf Alternativen auszuweichen – im Sinne der Patienten.
Lieferschwierigkeit heißt nicht Versorgungsengpass
Vor allem wenn es um Impfstoffe geht, deren Herstellung hoch komplex und langwierig ist, wird eine Lieferschwierigkeit allzu schnell zu einem Versorgungsengpass hochstilisiert. Dabei ist die Verfügbarkeit von mehreren Faktoren abhängig, auf die der Produzent nicht immer Einfluss hat.
Zunehmend werden Aufträge im Zuge von Ausschreibungen vergeben, wo nur der Billigstbieter zum Zug kommt. Dadurch werden andere Anbieter bis zur nächsten Ausschreibung vom Markt ausgeschlossen und produzieren daher nicht auf Lager. Allfällige Lieferschwierigkeiten, aus welchen Gründen auch immer, werden einer ganzen Industrie umgehängt, obwohl professionelle Ausschreibungen nicht nur den Preis, sondern auch die Versorgungsqualität und Versorgungssicherheit im Auge haben sollten.
Ausblick auf 2016
Wir haben enorme Herausforderungen gemeistert und sehen ebensolche auf uns im neuen Jahr zukommen, allen voran die Maßnahmen zur Serialisierung. Auch hier wird die Industrie zur Kasse gebeten, auch hier müssen wir mit bedeutenden strukturellen Neuerungen umgehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch hier beweisen werden: Wir sind eine flexible, moderne und leistungsstarke Branche, die die Aufgaben, die an sie gestellt werden und die sie sich selbst stellt, hervorragend zu bewältigen versteht.
pharmind 2016, Nr. 1, Seite 15