Generika in der Schweiz
Zwischen Markt und Regulation
Peter Huber |
Die Generikaanbieter in der Schweiz bewegen sich weiterhin in einem politisch veränderlichen Klima. Krankenversicherer und der Preisüberwacher werden nicht müde, den Preisunterschied zwischen den Präparaten mit bekannten Wirkstoffen im In- und Ausland zu betonen, ohne jedoch die offensichtlichen Unterschiede in der Versorgungsqualität zu berücksichtigen. Preisvergleiche ohne Leistungsvergleiche – das geht natürlich gar nicht.
Trotzdem werden auf dieser höchst zweifelhaften Basis munter immer neue Regulierungen und zusätzliche staatliche Eingriffe gefordert, ohne dass jemand auf die Idee käme, zuerst die offensichtlichen Fehlanreize in der Vertriebsspanne anzugehen.
Positive Marktentwicklung
Auch nach dem Patentablauf der ganz großen „Blockbuster“ entwickelt sich der von Mepha/Teva und Sandoz dominierte Generikamarkt in der Schweiz positiv. Die Umsätze sind um gut 6 % gewachsen. Allerdings wird dieses Wachstum immer noch primär durch die Ausweitung des generikafähigen Marktes getrieben und nicht durch eine Erhöhung der Marktpenetration. Die Substitutionsrate verharrt seit einigen Jahren auf demselben Niveau. Das ist sicher auch damit zu erklären, dass der Handel weiterhin kein Interesse daran hat, günstige Medikamente bevorzugt abzugeben – ganz im Gegenteil (s. u.).
Zulassung von „BWS“ (Präparate mit bekannten Wirkstoffen)
Beim Marktzutritt besteht mit der Zulassung durch das Heilmittelinstitut Swissmedic auch für die Generika eine von der EU rechtlich unabhängige Hürde, die das „Inseldasein“ des einheimischen Marktes stärkt. Immerhin darf festgestellt werden, dass die vereinfachte Zulassung nach Art. 13 HMG unterdessen friktionsloser angewandt wird. Die gebührende Berücksichtigung von Zulassungsentscheiden von Ländern mit vergleichbaren Zulassungssystemen führt zu einer Vereinfachung und einer Beschleunigung der Prozesse. Damit lohnt sich für die Firmen nun auch der Mehraufwand für die Bereitstellung eines darauf abgestimmten Dossiers. So profitieren letztlich beide Partner: Die Behörde kann die Begutachter entlasten und die Firmen können sich über raschere Zulassungsentscheide freuen.
Das heißt indessen nicht, dass die Generika-Zulassungsexperten ein sorgenfreies Leben hätten. Kopfschmerzen bereiten aktuell die oral inhalierten Lungenpräparate. Diese bilden die letzte große Gruppe von Produkten mit kleinen Molekülen, deren Schutzablauf noch bevorsteht, und damit ein wichtiges „Substrat“ für die Aktivitäten der Generikafirmen in den nächsten Jahren. Leider unterscheiden sich die Beurteilungen der Zulassungsunterlagen zwischen der EMA und Swissmedic massiv. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass mit identischen Dossiers konträre Entscheidungen erhalten werden. Es ist nicht nur für Experten schwer nachvollziehbar, wieso gewisse Produkte in Lörrach und in Como eingesetzt werden können, in Basel und Chiasso aber nicht. In einzelnen Fällen liegen aus der EU 27 unabhängige positive Zulassungsentscheide aus dezentralen Verfahren vor, in der Schweiz wird gleichwohl abgelehnt. Deshalb engagiert sich Intergenerika aktuell für die Bereinigung der unterschiedlichen Beurteilungen in Expertenpanels.
Unterschiede in der Versorgungsqualität erklären Preisunterschiede
Obwohl WHO und die EU-Kommission direkte Auslandpreisvergleiche für patentfreie Medikamente nicht empfehlen, werden gewisse Organisationen nicht müde, genau dies immer wieder zu tun. Dabei werden stur nur die Preise verglichen, ohne auch aufzuzeigen, wie sich die Versorgungsqualität unterscheidet. Gerade dort gibt es aber sehr große Unterschiede. Während z. B. in Dänemark ein Tendersystem und in Holland mit dem „Preferentiebeleid“ ein Billigstprinzip existieren, besteht in der Schweiz immer noch die Wahlfreiheit. Somit können Ärzte und Apotheker auf individueller Basis das für den jeweiligen Patienten optimale Medikament auswählen. Da die Versorgungssysteme nicht vergleichbar sind, dürfen auch die Preise nicht direkt verglichen werden! Wenn es der Krankenversichererverband „santésuisse“ und Interpharma trotzdem jedes Jahr tun, dann müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, billige Stimmungsmache zu betreiben, um politischen Druck in Richtung eines Festbetragssystems aufzubauen.
Ein weiterer Grund für die höheren Generikapreise in der Schweiz ist die Forderung, dass auch Generikaanbieter alle Dosierungen und Packungsgrößen des Originalpräparats anbieten müssen. Angesichts der Kleinheit des Marktes und der tiefen Penetrationsraten führt dies zu sehr kleinen Mengen und exponentiell steigenden Kosten für die Verpackung. Die vollständige Palette erhöht den Patientennutzen, das ist unbestritten, sie erhöht aber auch die Kosten und damit die Preise. Optimale Versorgung hat ihren Preis und wer sie will, muss auch bereit sein, dafür zu bezahlen.
Wenig Preisdruck nach unten – ein Fehler im System
Aktuell werden die Generikapreise mit einem „indirekten Auslandpreisvergleich“ regelmäßig überprüft. Dieser erfolgt primär nur für die Originalprodukte. Die Generika müssen dann einen Preisabstand von in der Regel 20 % zum neuen Originalpreis einhalten. Die Erfahrung zeigt, dass die Generikaanbieter die Preise dann auf dem Niveau der so verfügten Preise belassen.
Gewisse Auguren, wie z. B. der Preisüberwacher, interpretieren diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Firmen diese Preise quasi als Fixpreise verstünden und das System nichts tauge.
Das ist natürlich Unsinn. Der Grund für das Festhalten an möglichst hohen Preisen ist ein anderer: Noch immer erhält in der Schweiz der Handel bei höheren Preisen die größeren absoluten Spannen! Wer freiwillig die Preise senkte, würde sich somit am Markt selbst benachteiligen: Weil die Entscheider (also selbstdispensierende Ärzte und Apotheker) von höheren Preisen profitieren, entsteht ein Preisdruck nach oben und nicht wie in einem „normalen“ konsumentengetriebenen Markt ein Druck auf die Preise nach unten. Es ist höchste Zeit, dass dieser unsinnige Anreiz endlich korrigiert wird.
Generikaförderung durch Anpassung des Anreizes
Intergenerika fordert, dass die Handelsmargen so ausgestaltet werden, dass nicht mehr bestraft wird, wer günstig therapiert. Die Spannen für Produkte mit dem gleichen Wirkstoff müssen gleich groß sein. So erhält man gleich lange Spieße und wenn der Apotheker weiß, dass er bei der Generikaabgabe gleich viel verdient, dann wird er subsidiär im Sinne der sozialen Krankenversicherung handeln und das für den Patienten optimale und günstigste Produkt abgeben. Wenn man den Markt so spielen ließe, entstünde endlich ein Preiswettbewerb, der weitere aktuell diskutierte regulatorische Eingriffe obsolet werden ließe. Zum Glück hat das Eidgenössische Department des Inneren unlängst angekündigt, dass man an einer Systemkorrektur in diese Richtung arbeitet.
Festbetragssystem: wieso für die Schweiz nicht?
Verschiedene Exponenten aus dem Markt fordern immer lauter eine Festbetragsregelung für den patentfreien Bereich. Unterdessen hat sich auch der Bundesrat diesem Druck gebeugt und das Bundesamt für Gesundheit mit der Ausarbeitung eines Referenzpreissystems beauftragt. Ein erster Vorschlag wird für März 2016 erwartet.
In der Diskussion wird immer wieder darauf hingewiesen, dass ähnliche Systeme in anderen Ländern erfolgreich eingeführt worden seien. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass sich der schweizerische Markt deutlich von typischen europäischen Märkten unterscheidet. Er ist nicht nur klein (8 Mio. Einwohner) und kompliziert (regulatorischer Inselstatus, vier Landessprachen), er ist v. a. auch durch ein schmales Angebot gekennzeichnet. Für viele Wirkstoffe gibt es kaum eine Handvoll Anbieter, schon heute liegen rund drei Viertel des Marktes in den Händen zweier Firmen, Tendenz steigend. Es ist offensichtlich, dass diese Marktstruktur nicht mit derjenigen in Deutschland verglichen werden kann und dass ein großes Risiko für eine Oligopol- bzw. Monopolbildung besteht. Klugerweise würde man unter diesen Umständen auf alle Markteingriffe verzichten, die zu einer weiteren Marktverengung führen. Erfahrungen aus dem Krankenhausbereich zeigen, dass dann sehr schnell gravierende Lieferengpässe und Versorgungslücken entstehen.
Deshalb die Intergenerika-Forderung: Mehr Markt – weniger Regulierung! Es ist zu hoffen, dass die Politik aus diesen Erfahrungen lernt und auf regulatorische Experimente verzichtet, die Liefersicherheit und Patientenorientierung in Mitleidenschaft ziehen würden.
pharmind 2016, Nr. 1, Seite 11