Mehr Schatten als Licht – aber die Weichen sind gestellt
Dr. Martin Weiser |
2017 – das gesundheitspolitische Jahr wird vor allem durch Gesetzesinitiativen und Impulse aus 2016 geprägt sein. Manches davon ist bereits abgeschlossen, Vieles schon in die Wege geleitet. Wie auch immer, spätestens in diesem Frühjahr sollten die Würfel gefallen sein. Was dann noch nicht feststeht, wird wohl auch nicht mehr in dieser Legislaturperiode realisiert. Denn danach steht die Bundestagswahl im September im Mittelpunkt.
Das AMVSG kommt mit Preismoratorium …
Die zentrale regulatorische Weichenstellung 2016/2017 ist das noch laufende Verfahren zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG). Nach derzeitigem Stand werden sich der Bundestag im Februar in der zweiten und dritten Lesung und der Bundesrat im März im zweiten Durchgang mit dem AMVSG beschäftigen. Das Gesetz soll dann voraussichtlich im April in Kraft treten.
Am 12. Oktober 2016 hat das Bundeskabinett den Entwurf zum AMVSG beschlossen. Als gesetzt gilt, dass das derzeit noch bis Ende dieses Jahres befristete Preismoratorium für Arzneimittel bis Ende 2022 verlängert wird. Lediglich eine jährliche Preisanpassung in Höhe der Inflationsrate soll möglich sein. Für die Pharmaindustrie ist das ein herber Rückschlag.
Rückblick: Noch im April letzten Jahres waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass der zu diesem Zeitpunkt abgeschlossene Pharmadialog, die Grundlage für das AMVSG, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war. Wir müssen den Forschungs-, Produktions- und Wirtschaftsstandort Deutschland stärken – das war das erklärte Ziel von Politik und Wirtschaft.
Daran haben sich dann Einige offensichtlich nicht mehr so genau erinnert. Jedenfalls las sich der Referentenentwurf zum AMVSG aus dem Bundesgesundheitsministerium im Sommer ganz anders. Die erneute Fortführung des seit 2010 bestehenden Preismoratoriums um 5 Jahre bis Ende 2022 ist für den Pharmastandort Deutschland mehr als nur schädlich: Gerade für mittelständische Arzneimittel-Hersteller kann das existenzbedrohende Konsequenzen haben. Denn sie dürfen nicht einmal unvermeidbare, von ihnen selbst nicht ausgelöste Kostensteigerungen, wie z. B. für Rohstoffe oder Energie, umlegen. Und weitere Kostensteigerungen stehen schon vor der Tür, wie z. B. die gesetzlich erforderliche Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie, die ab Februar 2019 greift.
Der Kabinettsentwurf zum AMVSG im Herbst machte es dann nicht besser: Statt nachhaltiger und wirtschaftlich auskömmlicher Rahmenbedingungen blieb es bei oberflächlichen Kostendämpfungs- und Regulierungsmaßnahmen. Statt partnerschaftlichem Umgang blieb es bei der erneuten Verlängerung des Preismoratoriums. Und: Wesentliche Verbesserungen für durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) geregelte Arzneimittel oder für die Weiterentwicklung bekannter Wirkstoffe sucht man nach wie vor vergebens.
Der zwischen Herstellern und Krankenkassen ausgehandelte Erstattungspreis soll zwar künftig nicht mehr öffentlich einsehbar sein. So sollen ihn nur noch diejenigen Stellen erfahren, die ihn zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben benötigen. Das hört sich zwar gut an, aber wie das Ganze denn genau funktionieren soll, bleibt im Dunkeln. Also auch hier mehr Schatten als Licht für die Arzneimittel-Hersteller.
Dabei haben die Arzneimittel-Hersteller für die Umsetzung der Vertraulichkeit des Erstattungsbetrags einen Vorschlag gemacht, der an ein bewährtes Verfahren anknüpft: Demnach könnte die Differenz zwischen dem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers und dem Erstattungsbetrag wie bei den Vereinbarungen zu den Rabattverträgen direkt zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen abgerechnet werden. Die Details hierzu ließen sich leicht im SGB V regeln, eine zusätzliche Rechtsverordnung wäre nicht unbedingt erforderlich. Alle anderen Wege, den Erstattungsbetrag vertraulich zu behandeln, wären extrem aufwändig und würden das erklärte Ziel des Pharmadialogs nicht annähernd erreichen.
… das Rx-Versandhandelsverbot wohl in einem eigenen Gesetz
Unerwartet und für viele überraschend war im Oktober letzten Jahres das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu den Rx-Boni: Demnach unterliegen ausländische Versandapotheken bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht der deutschen Preisbindung. Somit können ausländische Apotheken durch Rabatte oder Boni gegenüber Krankenkassen und Patienten ihre Markt- und damit Umsatzchancen verbessern. Deutsche Apotheken vor Ort aber dürfen das nicht. Der BAH betrachtet das EuGH-Urteil mit Sorge, gefährdet es doch langfristig die bewährte Struktur der wohnortnahen und flächendeckenden Arzneimittelversorgung.
Die Politik hat reagiert: Bundesgesundheitsminister Gröhe legte Mitte Dezember einen Gesetzentwurf für ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel vor. Er möchte das Gesetz gerne bis zum Sommer abschließend beraten. Der Bundesrat unterstützt ein solches Versandhandelsverbot, aber die große Koalition ist in diesem Punkt zerstritten, der Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens damit ungewiss. Wie immer die Lösung auch aussehen mag: Arzneimittel sind keine Konsumgüter, sondern Waren der besonderen Art. Ziel muss es sein, die wohnortnahe, flächendeckende und lückenlose Arzneimittelversorgung der Patienten dauerhaft sicherzustellen.
Die EU-Medizinprodukte-Verordnung sorgt für Mehraufwand …
Deutlich langsamer mahlen die Mühlen der Europäischen Union beim Gesetzgebungsverfahren für eine neue Medizinprodukte-Verordnung. Nach mehr als 3 Jahren intensiver Beratungen konnte im Mai im Rahmen der sog. Trilog-Verhandlungen ein Kompromiss auf EU-Ebene gefunden werden. Die abschließenden gesetzgeberischen Schritte sind im ersten Halbjahr 2017 zu erwarten. Wie man aus Brüssel hört, wird sich an den festgezurrten Inhalten wohl nichts mehr ändern. Was lange währt, wird endlich gut?
Das gilt leider nur bedingt. Zwar ist es durch die Aktivitäten der AESGP, dem Europäischen Verband der Arzneimittel-Hersteller, und des BAH gelungen, die Kategorie „Stoffliche Medizinprodukte“ zu erhalten. Für nahezu alle stofflichen Medizinprodukte gelten aber voraussichtlich ab dem Jahr 2020 höhere Risikoklassen. Damit müssen die Hersteller mit einem erheblichen Mehraufwand rechnen, um neue Produkte in den Verkehr zu bringen oder bestehende im Markt zu halten.
… ebenso wie die Umsetzung der Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie
Arzneimittel-Hersteller brauchen – und das gilt insbesondere für den Mittelstand – verlässliche, planbare und wirtschaftlich auskömmliche Rahmenbedingungen. Nur dann können sie flexibel auf die neuen Herausforderungen reagieren, die permanent auf sie zukommen. Dies war letztlich auch das Ziel des Pharmadialogs. Spätestens bei der Umsetzung der Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie fällt der Branche dann aber das Preismoratorium auf den Fuß.
Hier schließt sich der Kreis zu den bereits angesprochenen, nicht durch Arzneimittel-Hersteller verursachten und trotzdem für sie unvermeidbaren Kostensteigerungen: Ab dem 09. Februar 2019 dürfen verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch mit bestimmten Sicherheitsmerkmalen auf der Packung in Verkehr gebracht werden. Auch dank der gemeinsamen Anstrengungen im securPharm-Projekt werden die Arzneimittel-Hersteller es schaffen, diese Regelung umzusetzen. Damit kommen sie ihrer Verantwortung für eine sichere und hochwertige Arzneimittelversorgung nach. Aber: Das alles kostet Geld, viel Geld, in diesem Fall nach Expertenschätzungen mindestens eine Mrd. Euro. Eine Mrd. an Kosten, die Arzneimittel-Hersteller aufgrund des Preismoratoriums nicht umlegen können. Das muss sich ändern. Denn Versorgungssicherheit kann es langfristig nur mit Arzneimittel-Herstellern geben, die ihre Produkte auf einer ausreichenden finanziellen Basis zur Verfügung stellen können.
Fazit
Das Jahr 2017 wird für die Arzneimittel-Hersteller wohl eher ein durchwachsenes Jahr. Jedenfalls sind die Weichen gestellt: Das 2016 von der Bundesregierung eingeleitete Gesetzgebungsverfahren zum AMVSG wird wohl bis zur Sommerpause seinen Abschluss finden. Das gilt auch für das Verfahren zur neuen europäischen Medizinprodukte-Verordnung. Ob allerdings aus der Initiative von Herman Gröhe tatsächlich ein gesetzliches Rx-Versandhandelsverbot entspringt, ist mehr als fraglich.
Im September 2017 stellt dann die Bundestagswahl weitere Weichen: für die künftige Gesundheitspolitik in Deutschland und Europa.
pharmind 2017, Nr. 1, Seite 1