Gesundheitsminister im Glück, Krankenkassen mit Rekordeinnahmen
Gesundheitspolitik braucht neues Paradigma: Versorgungssicherheit
Bork Bretthauer |
Betrachtet man die gesundheitspolitische Bilanz der letzten Bundesregierung, fällt v. a. auf, dass kaum ein anderer Gesundheitsminister auf einer vergleichbaren Basis wachsender Beitragseinnahmen arbeiten konnte: Die Krankenkassen steuern finanziell von einem Rekord zum anderen. Diese überaus gute finanzielle Lage der Kassen hat ihren Grund jedoch nicht in der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre. Vielmehr setzt sich in Deutschland der wirtschaftliche Aufschwung fort. Dieser führt zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit und zu einem Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch zu immer weiter steigenden Beitragseinnahmen.
Auch auf der Ausgabenseite scheint alles im Plan: Der Anstieg der Arzneimittelausgaben der GKV liegt z. B. nahezu exakt auf dem Niveau der Annahmen der Krankenkassen.
Allerdings verschärft sich ein Trend, der auch die Gesundheitspolitiker der neuen Wahlperiode beunruhigen sollte: Für einen immer weiterwachsenden Anteil an der Arzneimittelversorgung wenden die Kassen immer weniger Geld auf. Konkret: Generika decken in Deutschland 77 % des gesamten Bedarfs der gesetzlich Krankenversicherten. Für diese 77 % Versorgungsanteil wenden die Kassen aber nicht einmal mehr 10 % ihrer Arzneimittelausgaben auf. Den Löwenanteil an den Arzneimittelausgaben machen patentgeschützte Arzneimittel, die Vergütung von Großhandel, Apotheken und die gesetzliche Mehrwertsteuer aus.
Zudem müssen Generikaunternehmen den Krankenkassen bekanntlich massive Rabatte gewähren, wollen sie an der Versorgung der Versicherten einer Kasse teilnehmen. Im Ergebnis erstatten die Kassen dem Hersteller für eine durchschnittliche Tagesbehandlung mit einem Generikum noch ganze 6 Cent.
Mögliche Agenda einer neuen Bundesregierung für die Arzneimittelversorgung
Vor dem Hintergrund gut gefüllter Kassen bei den Krankenkassen, brummender Konjunktur, wachsender Beschäftigung und damit weiter steigender Beitragseinnahmen könnte es zu einem echten Novum in Deutschland kommen: Denn noch jede Bundesregierung ist bislang mit einem kurzfristig wirksamen Spargesetz mit der Begründung gestartet, sich damit den „finanziellen Freiraum“ für später notwendige Strukturreformen zu verschaffen. Diesem Begründungszusammenhang fehlte aktuell jede Grundlage.
Was nicht bedeutet, dass die kommende Bundesregierung keinen Handlungsbedarf sehen dürfte. Allein die bereits für Schlagzeilen sorgende Diskussion über die Höhe der Vergütung der Apotheken sowie die nicht weniger aufgeladene Diskussion über ein mögliches Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten sind Vorboten für eine anstehende Gesetzgebung im Bereich der Arzneimittelversorgung.
Hinzu kommen die ebenso intensiv wie kontrovers geführten Diskussionen über eine Reform des AMNOG. Die zu beantwortenden Fragen sind demnach die nach dem ersten Jahr Preisfreiheit für neue Wirkstoffe, die Zulässigkeit des sog. Mischpreises sowie die Einführung eines Arztinformationssystems.
Die Dominanz der AMNOG-Themen in der gesundheitspolitischen Diskussion hält dabei seit Jahren an. Sie ist Ausdruck davon, dass die Gesundheitspolitik sich wie in den vergangenen Jahrzehnten v. a. vom Paradigma der ausgabensenkenden Arzneimittelpolitik leiten lässt.
Neues Paradigma für die Arzneimittelpolitik notwendig: Versorgungssicherheit stärken
Während es unstrittig ist, dass das Gesundheitssystem wie auch die Arzneimittelversorgung nachhaltig finanzierbar bleiben müssen, sollten die Engpässe der letzten Jahre in der Arzneimittelversorgung mit lebenswichtigen Wirkstoffen in Deutschland als Weckruf verstanden werden. Daher muss sich die Arzneimittelpolitik der nächsten Bundesregierung v. a. davon leiten lassen, die Versorgungssicherheit in Deutschland zu stärken.
Dabei hat die letzte Bundesregierung schon einiges unternommen:
So gibt es bei der Zulassungsbehörde BfArM ein Onlineregister, in dem Unternehmen ihre Engpässe melden.
Darüber hinaus wurden nach intensivem Diskussionsprozess Listen mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln erarbeitet – die bereits sehr umfangreich sind, was die Übersichtlichkeit mindestens beeinträchtigt.
Kürzlich wurden Unternehmen per Gesetz verpflichtet, Krankenhäuser unverzüglich über Engpässe zu informieren.
Im BfArM ist ein Jour Fixe eingerichtet worden, bei dem alle versorgungsrelevanten Akteure am Tisch sitzen und im Falle von Versorgungsengpässen pragmatisch zusammenarbeiten, um die Versorgung der Patienten zu sichern.
All diese Maßnahmen können die Informationslage über Engpässe und das Engpassmanagement verbessern. Aber sie packen die Engpässe nicht bei ihrer Wurzel.
Der Gesetzgeber hat 2017 eine Maßnahme ergriffen, die auch an deren Ursachen ansetzt: Mit der Einführung einer gesetzlichen 6-Monatsfrist zwischen Zuschlagserteilung und Lieferbeginn in Generikarabattverträgen wurde dafür gesorgt, dass Generikaunternehmen erstmals genügend Zeit für die bedarfsgerechte Produktion und den Aufbau von Lagerbeständen eingeräumt wird.
Das muss nun zwingend auch im Krankenhausbereich umgesetzt werden. Denn die marktstarken Einkaufsgemeinschaften der Krankenhäuser lassen den Unternehmen vor Vertragsstart oftmals nur wenige Wochen für Produktion und Lageraufbau. Gleichzeitig sind es aber gerade Klinikapotheker, die Gesetzesverschärfungen und weitere Sanktionen für Hersteller fordern, wenn diese einmal nicht liefern können. Das passt nicht zusammen.
Krankenkassen und Kliniken sind nicht nur Arzneimitteleinkäufer, sondern auch Versorger
Die wichtigste Voraussetzung, um tatsächlich Engpässe zu verhindern ist aber, dass Krankenkassen und Kliniken ihre Rolle als Einkäufer und als Versorger wahrnehmen. Wer den Fokus beim Arzneimittelkauf v. a. auf den niedrigsten Preis richtet, riskiert als Folge auch Einbußen bei der Liefersicherheit.
Aus der Engpassdiskussion in anderen Ländern wissen wir, dass der enorme Kostendruck im Generikabereich der wesentliche Treiber von steigender Marktverengung ist: Immer weniger Unternehmen müssen die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln schultern.
Kliniken und Krankenkassen sollten daher erkennen, dass sie im Arzneimittelbereich nicht nur eine Rolle als Einkäufer innehaben, sondern auch als Versorger. Die Zahlen sprechen aber immer noch eine andere Sprache: Im Jahr 2017 waren 60–70 % der ausgeschriebenen Lose im Rabattvertragssystem Einfachvergaben – in diesem Fall muss ein einziges Unternehmen die Versorgung der Versicherten einer Krankenkasse schultern. Daher brauchen wir z. B. in Generika-Rabattverträgen zumindest „Leitplanken für mehr Versorgungssicherheit“; der Gesetzgeber sollte die Mehrfachvergabe gesetzlich vorsehen.
Biosimilars 2.0: Vertrauen folgt Verordnung
Auch Biosimilars spielen eine größer werdende Rolle in der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Insgesamt zeigt sich, dass sich die Marktdurchdringung neu auf den Markt gelangender Biosimilars deutlich beschleunigt hat. Nach dem Markteintritt von Infliximab als erstem Vertreter der neuen Generation von Biosimilars im Jahr 2015 stehen mit Etanercept (seit 2016) und mit Rituximab (seit 2017) weitere versorgungsrelevante Wirkstoffe als Biosimilars für die Versorgung bereit.
Auch wenn die Biosimilars in Deutschland insgesamt auf einem guten Weg zu sein scheinen, wird ihr Potenzial für eine hochwertige und dauerhaft bezahlbare Versorgung noch lange nicht ausgeschöpft. Die Analyse zeigt, dass der Treiber für eine rasche Marktdurchdringung von Biosimilars eine umfassende, wissenschaftlich basierte Information der Ärzte ist. In dem Maße, wie sich neben den Biosimilarunternehmen v. a. auch Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen um eine umfassende Information der Verordner bemühen, werden Biosimilars zunehmend für die Patientenversorgung eingesetzt. Und die Ärzte machen dabei die Erfahrung, dass sich das Zulassungskonzept der Biosimilars auch im Patientenalltag bewährt. Man kann das auf folgende Formel bringen: Vertrauen folgt Verordnung.
Das ist umso wichtiger, als laut Handelsblatt vom 05.01.2018 mit Adalimumab (Humira®) im Oktober 2018 ein besonders umsatzstarkes und versorgungsrelevantes Biopharmazeutikum vor dem Patentablauf steht und viele Biosimilarunternehmen bereits Zulassungen beantragt bzw. diese bereits von der Europäischen Zulassungsagentur EMA erhalten haben. Zu erwarten ist daher ein besonders wettbewerbsintensiver Markt, da es voraussichtlich mehr Anbieter geben wird, als in den bisherigen Biosimilarmärkten. Dieses Beispiel zeigt: Wettbewerb braucht in erster Linie eins: Wettbewerber – und keine Festbeträge, wie von der GKV fälscherweise behauptet.
pharmind 2018, Nr. 1, Seite 5