Sichere Arzneimittelversorgung im Fokus
Auftakt in ein ereignisreiches Jahr 2019
Bork Bretthauer |
Tempo, Tempo, Tempo – so könnte man den, zumindest auf den ersten Blick, auffälligsten Unterschied zwischen Gesundheitsminister Jens Spahn und seinem Vorgänger nennen. Das Ministerium hat in sehr kurzer Zeit sehr viele Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht. In seinem jüngsten Projekt geht es dem Namen nach um die Stärkung der Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, GSAV). Einige der darin aufgegriffenen Themen rückten durch den Lunapharm-Skandal oder den Rückruf des Medikaments Valsartan auf die Agenda.
Im Falle Lunapharm allerdings packt das Gesetz das Problem nicht konsequent an. Allein aus ethischen Gründen richtet sich die Frage an die Gesundheitspolitiker eines der reichsten Länder der Welt: Warum halten sie an einer Gesetzesreglung fest, die mit dazu führt, dass Patienten in Ländern, wie z. B. Rumänien, z. T. keinen Zugang zu lebenswichtigen Krebsmedikamenten haben, weil diese Gegenstand eines schwunghaften Handels innerhalb der EU sind. Dennoch hält das GSAV an der gesetzlichen Förderung von Reimporten fest. Hier sind das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD gefordert nachzubessern: Die gesetzliche Reimportförderquote muss ersatzlos gestrichen werden.
Gute Entwicklung bei Biosimilars nicht gefährden
Zudem will das Gesetz die Verordnung von Biosimilars statt teureren Referenzpräparaten fördern, in dem es das bislang in einigen Regionen erfolgreiche Modell der Zielvereinbarungen deutschlandweit ausrollt. Das ist gut, weil die Praxis zeigt, dass Zielvereinbarungen tatsächlich erfolgreich sind.
Allerdings schlägt der Entwurf des Gesetzes zusätzlich vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) über die Austauschbarkeit von Biosimilars in der Apotheke entscheiden soll. Dieser Schritt würde allerdings grundlegend in eine Entwicklung eingreifen, die seit einiger Zeit aus Sicht des Gesundheitssystems ausschließlich positiv verläuft:
Biosimilars gelangen – auch dank der oben erwähnten Zielvereinbarungen – immer schneller in die Versorgung.
Dank der Zunahme der Unternehmen, die Biosimilars in die Versorgung bringen, hat sich auch der Preiswettbewerb deutlich intensiviert.
Alle neu für die Versorgung bereitgestellten Biosimilars sind de facto von Beginn an unter Rabattvertrag, was zu zusätzlichen Einsparungen bei den Krankenkassen führt.
Patientinnen und Patienten können insgesamt deutlich günstiger und ohne jeden Abstrich bei der Versorgungsqualität versorgt werden.
Diese Entwicklungen zusammengenommen führen allein bei dem im Oktober 2018 aus dem Patent gelaufenen, weltweit bislang umsatzstärksten Medikament Humira dazu, dass das deutsche Gesundheitssystem pro Jahr schon 600 Mio. Euro einsparen kann. Ein derart massiver Eingriff, wie ihn eine Aut-idem-Regelung für Biosimilars darstellt, ist ein Risiko für diese Entwicklung – zumal auch die Ärzte- und Apothekerschaft diesen Schritt unisono ablehnen.
Adalimumab-Biosimilars – Große Akzeptanz und intensiver Wettbewerb
(Quelle: AG Pro Biosimilars, INSIGHT Health NPI Weekly in Zähleinheiten
(Spritzen und Pens)).
Leitplanken für mehr Versorgungssicherheit im Gesetz einziehen
Hinsichtlich der Stärkung der Versorgungssicherheit sind dagegen noch keine Regelungen im Gesetz zu finden, die dieses Ziel tatsächlich erreichen können. Der Zusatz z. B., laut dem Rabattverträge künftig so ausgestaltet sein sollten, dass diese eine „unterbrechungsfreie und bedarfsgerechte“ Versorgung sicherstellen, bildet nur ab, was längst in den Rabattverträgen geregelt ist, ohne dass es Engpässe aufgrund zunehmender Marktverengung zu beseitigen hilft. Dabei ist durch den Fall Valsartan einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerückt, wie stark die Versorgungssicherheit von der Leistungsfähigkeit weniger (Wirkstoff-)Hersteller abhängen kann. Umso wichtiger wäre es, die Verantwortung für die Versorgung auf mehrere Schultern und Unternehmen zu verteilen und dabei sicherzustellen, dass die Unternehmen jeweils auf verschiedene Wirkstofflieferanten zurückgreifen. Zudem sollte ein Zuschlag in den Ausschreibungen der Krankenkassen regelhaft an ein Unternehmen gehen, das auf einen in der EU ansässigen Wirkstofflieferanten zurückgreift. Damit könnte ein Anreiz geschaffen werden, dass nicht noch weitere Produktion aus der EU verlagert werden muss.
Dringend gestrichen werden muss die bislang im GSAV vorgesehene Regelung, ausgerechnet (generische) Zytostatika dem Rabattvertragssystem zu unterwerfen. Wenn sich bislang Lieferengpässe zu wirklichen Versorgungsengpässen ausgeweitet haben, dann im Bereich der Zytostatikaversorgung. Denn hier treffen alle Risiken, die mit Ausschreibungen verbunden sind, wie in einem Brennglas aufeinander: Es gibt ohnehin nur wenige Unternehmen, die Zytostatika herstellen. Die Herstellung bringt sehr hohe Anforderungen an die Produktion mit sich (unter sterilen Produktionsbedingungen) und Zytostatika sind nur begrenzt lagerfähig sowie sehr margenschwach aufgrund des hohen Preisdrucks. Ausgerechnet dieser besonders sensible Bereich soll auch noch Rabattverträgen ausgesetzt werden, von denen man weiß, dass sie die Marktverengung weiter befördern. Das ist ein Risiko für die Versorgungssicherheit. Vielmehr ist hier ein stabiles Marktumfeld gefragt, das Unternehmen animiert, in der Versorgung zu bleiben.
Versorgungssicherheit durch gute Zusammenarbeit mit den Behörden stärken
Der erste Pharmadialog der Bundesregierung hat etwas hervorgebracht, das oft noch gar nicht genug Wertschätzung erfahren hat: den Jour fixe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Vermeidung von Engpässen. Hier hat sich eine pragmatische, kooperative und gut abgestimmte Zusammenarbeit zwischen allen an der Versorgung Beteiligten etabliert, die es in dieser Form vorher nicht gab. Auch vor diesem Hintergrund hat die enge Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Generikaunternehmen und dem BfArM im Falle Valsartan so gut funktioniert, wobei zusätzlich die Kommunikationsarbeit des BfArM positiv hervorzuheben ist.
Schließlich stehen gleich am Jahresanfang zwei weitere wichtige Ereignisse bevor: Zunächst wird am 9. Februar 2019 das SecurPharm-System in Deutschland online gehen. Jede verschreibungspflichtige Arzneimittelpackung, die ein Hersteller nach diesem Stichtag in den Verkehr bringt, muss dann einen Data-Matrix-Code und eine fälschungssichere Versiegelung tragen. Unternehmen, Apotheken und Großhandel haben sich mit enormem finanziellen und technischen Aufwand auf dieses Datum vorbereitet. Im Vergleich zu anderen Ländern in der EU war und ist Deutschland Vorreiter bei diesem Großvorhaben.
Darüber hinaus deutet – zumindest aus heutiger Sicht – vieles auf einen harten Brexit hin, der auch Folgen für die Arzneimittelversorgung haben kann. Auch hier haben Unternehmen alles dafür getan, um sich darauf vorzubereiten. Angesichts immer noch anhaltender, großer politischer Unsicherheiten über den weiteren Kurs Großbritanniens und den Status der Beziehungen zur EU appellieren wir jedoch v. a. an die zuständigen Behörden und Politiker, bei den anstehenden Entscheidungen im Sinne der Versorgungssicherheit Pragmatismus walten zu lassen.
pharmind 2019, Nr. 1, Seite 5