Statements der Verbände
Mag. Alexander Herzog |
Wohin man auch schaut, es knirscht im Gebälk
Europa und die Welt schlittern von einer Krise in die nächste. Nachdem die Corona-Pandemie einen hohen menschlichen Tribut gefordert hat, belastet das anhaltende Kriegsgeschehen in der Ukraine Menschen und Politik. Damit einhergehend sahen wir uns plötzlich mit explodierenden Energiepreisen konfrontiert, und zu guter Letzt treibt uns die Inflation wie ein eisiger Wintersturm vor sich her.
Kein Abwälzen steigender Kosten
Alles wird teurer und stellt Private wie Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Egal ob die Papier-, Nahrungsmittel-, Elektronik- oder, besonders heikel, die pharmazeutische Industrie. Letztere hat zudem das Problem der restriktiven Preisregularien. Sie verhindern, dass steigende Kosten von den Unternehmen an Kundinnen und Kunden weitergegeben werden.
Dabei wurde für die Unternehmen alles entlang der Wertschöpfungskette signifikant teurer – und das bei ohnehin bereits seit Jahren existierendem Preisdruck. Seit Jahren werden bei den Arzneimittelausgaben konsequent nur Einsparungen gefordert, ohne die Versorgungssicherheit und Versorgungsvielfalt zu berücksichtigen. Diese Entwicklung ist schlecht für die Versorgung, für die Patientinnen und Patienten und für die Unternehmen selbst.
Lippenbekenntnisse zum Standort
Lautstark wurde in den letzten beiden Jahren ein unabhängigerer Gesundheits- und Wirtschaftsstandort Europa gefordert. Doch es sind keine entsprechenden Initiativen gesetzt worden und so ist außer vollmundigen Lippenbekenntnissen nichts geblieben.
Mittlerweile stellen sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen am österreichischen Markt sogar noch ungünstiger dar: Innovationsskepsis, ein ohnehin bereits niedriges und sinkendes Preisgefüge für den Großteil der Arzneimittel, zunehmende Regulierung, ein Mangel an Fachkräften, die Beispiele für Problemfelder lassen sich beliebig fortführen. Der österreichische Nationalrat traf im Frühjahr z. B. eine Regelung, die im Bereich der chefarztpflichtigen innovativen Produkte einen Preisabschlag von 6,5 % auf den EU-Durchschnittspreis festlegt. Das konterkariert jegliches Engagement um eine Stärkung des Produktions- und Forschungsstandortes Österreich.
Investitionsstarke Branche
Mit Investitionen in Milliardenhöhe haben pharmazeutische Unternehmen in den letzten Jahren in Österreich stetig neue Arbeitsplätze geschaffen, Impulse für die Wirtschaft gesetzt und dazu beigetragen, unser Land international als Gesundheits-, Forschungs- und Produktionsstandort weiter zu positionieren. Erfreulich ist, dass es einzelne Investitionspakete und Förderungen gibt, was die Ansiedlung und den Ausbau heimischer Standorte betrifft.
Dennoch bleibt die Lage am Pharmastandort Österreich paradox: Nach wie vor werden insbesondere die 3 hochrelevanten Sektoren Forschung, Produktion und Marktzugang als voneinander weitgehend entkoppelte Silos behandelt.
Integrierte Politik bringt Mehrwert
Das bringt uns um positive Effekte in vielen Wirtschaftsbereichen, im Gesundheitswesen und damit für die Menschen in Österreich – ob Patient und Patientin, ob Leistungserbringer im Gesundheitswesen, ob in der Forschung oder in der Produktion. Um die Versorgungssicherheit und -vielfalt abzusichern, müssen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheit, Sozialwesen und Arbeitsmarkt zusammenspielen und eine gemeinsame Strategie verfolgen.
Diese integrierte Standortpolitik ist über die letzten Monate erneut in weite Ferne gerückt, so wie auch Rahmenbedingungen, die den pharmazeutischen Unternehmen das geforderte Mehr an Produktion in Europa und die Behauptung im internationalen Wettbewerb ermöglichen.
Beweist die EU-Politik mehr Weitblick?
Wirft man einen Blick darauf, was vonseiten der EU-Politik über die klassischen Gesundheitsthemen hinweg für die kommenden Jahre geplant ist, können wir uns sicher sein, dass auch 2023 ein nicht minder herausforderndes Jahr wird. Die Pharmabranche, das kann man mit Sicherheit sagen, ist ein Industriezweig, der seine soziale und ökonomische Verantwortung ernst nimmt. Es ist auch vonseiten der Europapolitik sicherlich mehr als legitim, auf ein nachhaltiges Wirtschaften zu achten und Aspekte der Ökologie, der Ökonomie und des Sozialen zu integrieren. Vieles, was derzeit im Bereich Nachhaltigkeit zur Diskussion steht, wird rascher in Form von Verordnungen oder nationalen Gesetzen auf unseren Tischen liegen, als wir glauben.
Verantwortungsbewusste Branche
Hört man ein wenig in den Brüsseler Kosmos hinein, bleibt festzustellen: Der Mikrokosmos ist zwar etwas größer, aber auch hier wird nicht mit 360-Grad-Blick geplant. Es geht um wichtige nächste Schritte hinsichtlich Sorgfaltspflichten, Lieferketten, Taxonomie, Sustainability Reporting oder um den Umgang mit Spurenstoffen im Abwasser. Ja, wir haben eine Verantwortung gegenüber unserer und den kommenden Generationen. Diese auch weiterhin und noch stärker als bisher zu übernehmen, dazu sind viele Unternehmerinnen und Unternehmer mehr als bereit. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die spezifischen Anforderungen und Chancen eines nachhaltigen Wirtschaftens zu integrieren sind, sondern lediglich um das Wie.
Verursacherprinzip statt geteilter Verantwortung
Schon lange nicht mehr wurde das Wort Verursacherprinzip so heftig strapaziert wie auf EU-Ebene beim Thema Nachhaltigkeit. Hier wird in einer Eindimensionalität über die Köpfe jener hinweg diskutiert, die all das auch umsetzen sollen. Es wird dabei aber kaum gehört, was die einzelnen Branchen und Unternehmen überhaupt leisten können. Vielmehr werden ohne Plan Forderungen gestellt, die bar jeder Realität eine rasche und nachhaltige Umsetzung möglich machen würden.
Aktuell fühlt es sich eher an, als ob die Politik die Verantwortung einfach abgeben will. Ein wenig wie manche Eltern, die der Meinung sind, dass sich doch die Schule und ihre Lehrerinnen und Lehrer um die notwendige Erziehung der Kinder kümmern sollen. Aus meiner Sicht wird uns damit die Chance auf eine wirkliche und tiefgreifende Transformation unseres Wirtschaftssystems genommen. Niemand, keiner von uns, keine einzelne Branche, kann all diese Aufgaben allein stemmen. Gerade die Verantwortung für ein mehr an Nachhaltigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche, und sie wäre ein Paradethema für integrierte Standortpolitik!
Geht's der Wirtschaft gut …
Es geht schlicht darum, die Wirtschaftlichkeit für die Unternehmen sicherzustellen. Gerade die österreichische pharmazeutische Industrie besteht zum überwiegenden Teil aus Klein- und Mittelbetrieben. Und viele von ihnen halten eine umfassende Palette bewährter und für die Versorgung wichtiger Medikamente für die heimischen Patientinnen und Patienten verfügbar. So könnte man sagen: Geht's der Wirtschaft gut, geht’s den Patientinnen und Patienten gut.
Ob Energiekrise, Fachkräftemangel, Inflation oder Nachhaltigkeit – die pharmazeutische Industrie leistet konstant einen elementaren Beitrag zur bestmöglichen Versorgung. Das kann sie aber nur, wenn man ihr auch Luft zum Atmen lässt. Nur dann lässt sich der vielfältige Schatz an rezeptpflichtigen und rezeptfreien, bewährten und innovativen Arzneimitteln erhalten. An die aktuellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen angepasste und faire Preise sind dafür eine wichtige Grundlage.