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    Abbildung 1
    Für 76 % der Arzneimittelversorgung wendet die GKV weniger als 10 % ihrer realen Arzneimittelkosten auf.

    Vom Pharmadialog zu politischen Entscheidungen

    Statements der Verbände

    Bork Bretthauer · Geschäftsführer, Pro Generika e. V.
    Bork Bretthauer

    Mit dem Ende des Jahres 2015 gehen der Großen Koalition auch die gesundheitspolitischen Aufträge aus, die sie sich selbst mit dem Koalitionsvertrag gegeben hat. Die spannende Frage ist daher: War es das oder kommt da noch etwas? Immerhin sind es noch rund 20 Monate bis zur nächsten Bundestagswahl. Eigentlich zu viel Zeit, um sie nicht für gestalterische Impulse zu nutzen. Denn Herausforderungen gibt es genug.

    Pharmadialog mit der Bundesregierung

    Absehbar ist zum Beispiel der Abschluss des Pharmadialogs im Frühjahr 2016, den die Bundesregierung mit den Unternehmensverbänden, der Gewerkschaft, mit den Biotech-Startups und Vertretern der Wissenschaften führt. Ziel des Pharmadialogs ist es, die Arzneimittelforschung und Arzneimittelproduktion in Deutschland zu fördern.

    Unser Eindruck ist, dass der enge Zusammenhang von heimischer Pharmaproduktion und Versorgungssicherheit in Deutschland nun auch von der Politik stärker wahrgenommen wird. Und einig sind sich mittlerweile alle, dass es ohne Generika weder eine sichere, noch eine dauerhaft bezahlbare Versorgung mit Arzneimitteln gibt. Gleichzeitig ist aber der Kostendruck auf keinem anderen Bereich des Arzneimittelmarkts so hoch wie bei den Generika. Die steigende Anzahl von Lieferengpässen zeigt, dass das Gesamtsystem hier an seine Grenze kommt.

    Die Frage ist daher vor allem: Wie weit trägt der Mut die politischen Entscheidungen? Denn natürlich spielt für Standortentscheidungen wie z. B. in Produktionsstandorte auch eine große Rolle, welcher Wert Generika in Deutschland zugeschrieben wird. Das mag aus politischer Perspektive nicht immer gern so gesehen werden, ist aber schlicht so.

    Wir haben – nicht nur im Pharmadialog – herausgearbeitet, dass wir nach wie vor eine starke industrielle Basis für die Arzneimittelproduktion in Deutschland haben. Zudem gibt es eine sehr enge Verzahnung mit dem in Deutschland sehr gut aufgestellten Maschinenbau. Auch Infrastruktur und Logistik sind klare Vorteile des Standortes Deutschland. Am wichtigsten sind jedoch die hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und auch hier kann der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb punkten.

    Und dann kommt das große „Aber“. Denn das Hauptproblem, das sich durch die gesamte Pharmaproduktion von Generika in Deutschland zieht, ist der Kostendruck. Und dieser hat verschiedene Ursachen. Einerseits kommt der Kostendruck naturgemäß aus dem intensiven Wettbewerb, der für Generika ohnehin kennzeichnend ist. Hinzu kommt jedoch eine ungesunde Entwicklung: Generikaunternehmen stellen in Deutschland immer mehr Arzneimittel für die Versorgung zur Verfügung. Allerdings wenden die Krankenkassen im Gegenzug dafür immer weniger Mittel auf. In Zahlen: Für 76 % der gesamten Arzneimittelversorgung wenden die Krankenkassen real – also nach Abzug der Vergütung für Apotheken, den Großhandel, die Mehrwertsteuer und die Rabatte aus den Rabattverträgen – weit weniger als 10 % ihrer Arzneimittelausgaben auf (Abb. 1).

    Für 76 % der Arzneimittelversorgung wendet die GKV weniger als 10 % ihrer realen Arzneimittelkosten auf.

    Und dieser Trend hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft. Wie kann das dauerhaft gut gehen: immer mehr Versorgung für immer weniger Geld? Kann es nicht.

    Angesichts des gewaltigen Kostendrucks mussten Produktionsprozesse bei Generikaunternehmen immer effizienter gestaltet und selbst Einsparungen bei Packmitteln, Blistern etc. vorgenommen werden. Experten sind sich weitgehend einig, dass keine nennenswerten Effizienzreserven in der Produktion mehr vorhanden sind. Daher zeichnet sich bereits ab, dass die Produktion besonders volumenstarker Arzneimittel in Deutschland womöglich aus Kostengründen nicht dauerhaft gehalten werden kann.

    Doch kommt zu dieser beunruhigenden Entwicklung noch eines hinzu: Unternehmen investieren parallel immer mehr in die Implementierung fortlaufend neuer Standards zur Gewährleistung höchster Qualität, in umfassende Lagerhaltung, in Logistik und die Erfüllung zahlreicher zusätzlicher regulatorischer Auflagen wie z. B. steigende Zulassungsgebühren, Einhaltung der jüngsten EU-Vorgaben für den Import von Arzneimittelwirkstoffen und Arzneimitteln und neue Vorgaben für temperaturgeführte Transporte. Diese Aufwendungen schlagen sich jedoch nicht in den realen Erstattungspreisen in Deutschland nieder.

    Nun steht die Umsetzung der Vorgaben der EU-Fälschungsrichtlinie an. Künftig wird jede Arzneimittelpackung mit fälschungssicheren Merkmalen versehen sein müssen. Und angesichts von realen Packungspreisen von wenigen Cent in Deutschland, ist das Aufbringen zusätzlicher Sicherheitsmerkmale ein weiterer, sehr hoher Kostenfaktor für Generikaunternehmen, der vor allem im Bereich der Rabattverträge leicht einen zweistelligen Prozentsatz des Nettoverkaufspreises ausmachen wird.

    Bislang fehlte eine übergreifende Analyse dieser Entwicklungen. Der Pharmadialog bietet hierfür eine Chance. Wir wollen sie nutzen und schlagen sehr konkrete Schritte vor, um das Rabattvertragssystem weiterzuentwickeln, damit sich seine erkennbaren negativen Nebenwirkungen nicht noch weiter verstärken.

    Drei Schritte für mehr Versorgungssicherheit in Deutschland

    Erstens brauchen wir klar definierte Fristen für die bedarfsgerechte Produktion, denn viele Krankenkassen berücksichtigen auch nach vielen Jahren noch immer nicht, dass die Produktion von Arzneimitteln – von der Wirkstoffbeschaffung über die eigentliche Produktion, die Verpackung und Qualitätssicherung bis zur Auslieferung – durchschnittlich sechs Monate braucht. Daher sollte den Krankenkassen aufgegeben werden, in den Ausschreibungen von Rabattverträgen den Herstellern sechs Monate Zeit für die Produktion zu gewähren.

    Zweitens darf man Krankenkassen nicht länger mit der Behauptung durchkommen lassen, sie hätten ja keine Verantwortung für den Standort Deutschland. Dieses gelegentlich noch immer auf den gesundheitspolitischen Podien vorgetragene Mantra scheint nicht nur wie aus einer anderen Zeit. Es verkennt auch, dass die Produktion und Versorgungssicherheit miteinander verflochten sind. Und wer, wie die Krankenkassen, den Kostendruck auf die Hersteller immer weiter erhöht, sollte spätestens die Lieferengpässe als beunruhigendes Symptom wahrnehmen – bevor sich diese zu Versorgungsengpässen auswachsen.

    Daher sollte für die Ausschreibung von Generika künftig gelten, dass mindestens drei Unternehmen pro Wirkstoff unter Vertrag genommen werden müssen. So würde zumindest eine Mindestzahl an Anbietern für einen bestimmten Wirkstoff am Markt gehalten und würde die Versorgungssicherheit gegenüber der heutigen Praxis gestärkt, bei der in rund 50 % der Fälle nur ein Hersteller ausgewählt wird und alle anderen die Produktion für das betreffende Arzneimittel herunterfahren müssen.

    Drittens sollte für versorgungskritische Wirkstoffe das Ausschreiben von Rabattverträgen künftig nicht mehr möglich sein, sofern sie Generika betreffen. Da es bei diesen Wirkstoffen offenbar einen Konsens gibt, dass diese zu keinem Zeitpunkt in der Versorgung fehlen dürfen, da sie nicht bzw. nicht ohne ein Vielfaches der Kosten durch andere Arzneimittel ersetzt werden können. Generika sind in Deutschland ohnehin – auch ohne Rabattverträge – bereits vielfach preisreguliert.

    Das Interesse der Gesellschaft an einer garantierten Verfügbarkeit versorgungskritischer Arzneimittel sollte politisch in jedem Fall höher gewichtet werden, als das betriebswirtschaftliche Interesse einer einzelnen Krankenkasse an möglichst hohen Rabatten.

    Das wären erste Schritte, die aufbauend auf der Erkenntnis zu gehen wären, dass „noch mehr Arzneimittelrecht“ nicht zu weniger Engpässen führt.

    Und am Ende gibt es auch eine gute Nachricht für die Politik: Denn die vorgeschlagenen Maßnahmen „kosten“ im Prinzip nichts – nur den politischen Willen. Zu dem aber muss die Politik selbst finden.

    Originaldokument