Statements der Verbände
Bork Bretthauer |
In diesem Jahr ist in Deutschland bekanntlich der Pharmadialog der Bundesregierung zu Ende gegangen, der mit dem Ziel gestartet worden war, den Forschungs- und Produktionsstandort für die pharmazeutische Industrie zu stärken. Das Ergebnis des Dialogs, wie es sich im Gesetzentwurf zum Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz wiederfindet, wird dieser Zielrichtung sicher nicht gerecht.
Allein das Preismoratorium, das die Arzneimittelpreise in Deutschland auf dem Preisniveau von 2009 eingefroren sein lässt, ist gemessen an der Zielsetzung des Pharmadialogs vor allem eines: kontraproduktiv.
Denn in kaum einem anderen Land Europas ist der Kostendruck auf Generikaunternehmen bereits so hoch wie in Deutschland. Eine Tagestherapiedosis mit einem Generikum vergüten die Kassen den Herstellern derzeit noch mit durchschnittlich ganzen 7 Cent. Alle Kostensteigerungen, die es allein aufgrund zusätzlicher gesetzlicher Auflagen gegeben hat, wie z. B. steigende Qualitätsanforderungen, Vorgaben zur Arzneimittelfälschungsbekämpfung, Forderungen nach zusätzlichem Aufbau von Lagerkapazitäten usw., erwartet der Gesetzgeber damit zum Nulltarif.
Globale Wirkstoffpreise sind unabhängig von der deutschen Sozialgesetzgebung
Hinzu kommt: Die globalen Wirkstoffpreise richten sich nicht nach der deutschen Sozialgesetzgebung. Wie sollen Unternehmen damit umgehen, dass Wirkstoffpreise steigen, die Unternehmen diese Preissteigerungen aber nicht – wie in anderen Branchen üblich – an ihre Kunden weitergeben können? Die Reaktion auf diesen fortlaufend steigenden Druck ist eine immer weitere Kostenoptimierung der Produktionsprozesse, die z. T. auch dazu führt, dass bestimmte Darreichungsformen, Packungsgrößen oder gar Wirkstoffe aus den Produktportfolios der Unternehmen entfernt werden müssen.
Der Kostendruck wird dabei von vielen Experten als eine wesentliche Ursache für die zunehmende Marktverengung im Generikamarkt anerkannt. So räumt z. B. Prof. Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, in einem Interview mit dem Südwestrundfunk am 14. Dezember 2016 ein: „Die Preise, die derzeit für diese Medikamente erzielt werden, sind eindeutig zu niedrig, um letztlich auch einen gewissen Gewinn abzuwerfen. Das heißt, man muss sich bei diesen sehr billigen Arzneimitteln Gedanken machen, ob man nicht auch die Hersteller vollkommen demotiviert, diese wichtigen Arzneimittel zu produzieren.“ [1]
Wir haben im Pharmadialog konkrete, umsetzbare und pragmatische Vorschläge auf den Tisch gelegt (siehe auch www.siebencent.de). Wir sind dabei davon ausgegangen, dass Politik und Krankenkassen nicht vom System der Rabattverträge abrücken möchten, obgleich deren negative Folgewirkungen immer offensichtlicher zu Tage treten.
Unternehmen Zeit für Produktion und Aufbau von Lagerbeständen einräumen
Daher ging es uns im Pharmadialog darum, Leitplanken für Versorgungssicherheit einzuziehen. Der Vorschlag, dass Kassen Generikaunternehmen künftig 6 Monate Zeit für die Produktion und den Aufbau von Lagerbeständen einzuräumen haben, damit mögliche Engpässe zumindest am Vertragsstart bzw. zu Lieferbeginn vermieden werden können, wurde im Gesetzentwurf aufgegriffen.
Versorgung auf mehrere Schultern verteilen
Engpässe entstehen aber nicht nur am Anfang eines Rabattvertrags, sondern vor allem während seiner 2-jährigen Laufzeit. Unsere Analyse aller Rabattverträge aller Krankenkassen des Jahres 2015 hat ergeben: Jeder zweite Rabattvertrag ist nicht gegen Engpässe gesichert. Denn in rund 50 % der Verträge trägt nur ein einziges Unternehmen die gesamte Verantwortung für die Versorgung.
Unser Vorschlag, der auch von den Apothekern in Deutschland unterstützt wird, lautet daher: Solange die Krankenkassen an Rabattverträgen festhalten wollen, sollen sie die Verantwortung für die Versorgung auf mehrere Schultern verteilen. Konkret sollen Generika-Rabattverträge an mehr als nur ein Unternehmen vergeben werden.
Dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) fehlte bislang möglicherweise der Mut, diesen sinnvollen Vorschlag in das AMVSG mit aufzunehmen. Stattdessen, so das BMG, wolle man „Gespräche mit den Kassen führen“. Sofern diese stattgefunden haben, hinterließen sie zumindest bei der AOK offenbar keinen bleibenden Eindruck. Denn in diesen Tagen hat die AOK Baden-Württemberg die Ergebnisse ihrer letzten Ausschreibung bekannt gemacht. Das Ergebnis? – Mehr als 80 % aller Zuschläge sind erneut ausschließlich an ein einziges Unternehmen gegangen. Selbst Antibiotika – bereits häufig von Engpässen betroffen – werden wiederum an nur ein Unternehmen vergeben. Die Folgen eines Lieferausfalls sind dabei mittlerweile bekannt: Vor allem Patienten haben das Nachsehen, Apotheken viel Ärger und Unternehmen drohen gewaltige Schadensersatzforderungen der Krankenkassen.
Zu wichtig zum Feilschen: Keine Rabattverträge für versorgungskritische Generika
Besonders kritisch ist die äußerst kurzfristig in das AMVSG aufgenommene Reform der Versorgung von Krebspatienten mit Zytostatika-Zubereitungen. Denn ausgerechnet in diesem hochsensiblen Bereich der Arzneimittelversorgung schlägt das Bundesgesundheitsministerium nun ebenfalls vor, dass das Rabattvertragssystem zur Anwendung kommen soll. Käme es hier zu Lieferengpässen, können Versorgungsengpässe nicht ausgeschlossen werden. Auch die im Gesetz definierten 6 Monate für Produktion und Lagerhaltung würden daran nichts ändern, denn die Herstellung von Zytostatika dauert deutlich länger. Pro Generika hat die Gesundheitsministerien auf Bundes- und Landesebene sowie die Gesundheitspolitiker im Bundestag auf dieses nicht auszuschließende Szenario hingewiesen. Noch ist es für eine Korrektur nicht zu spät.
Auch Kliniken und Klinikapotheker stehen in der Verantwortung
Neben den Rabattverträgen sind Engpässe bei Arzneimitteln auch im Bereich der Krankenhausversorgung ein drängendes Problem. Das ist insofern wenig verwunderlich, als auch dort ein immenser Kostendruck besteht. Denn die Kliniken bündeln ihre Einkaufsmacht in Einkaufsgemeinschaften. Das mag zwar aus ihrer eigenen, betriebswirtschaftlichen Sicht Sinn machen, führt aber zu einem gewaltigen Druck auf die Generikaunternehmen und die Generikapreise. Die Folgen, immer weiter sinkende Preise und zunehmende Marktverengung, sind zu beobachten.
Die Krankenhäuser und deren Klinikapotheker sind daher über ihre Einkaufspolitik für Versorgungssicherheit und für die Vermeidung von Engpässen mit verantwortlich. Nicht zufällig hat die Debatte um Arzneimittelengpässe in Deutschland im Jahr 2012 mit einem Engpass des Arzneimittels „5-FU“ (bzw. Fluorouracil) begonnen. 5-FU ist ein generisches Zytostatikum, das für Chemotherapien absolut essenziell ist. Ausgelöst wurde der 5-FU-Engpass damals dadurch, dass nur noch ein Hersteller in Deutschland lieferfähig war, der jedoch aufgrund begrenzter Produktionskapazitäten nicht der gesamten Nachfrage entsprechen konnte.
Klinikapotheker und Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft schlugen öffentlich und politisch Alarm, weil sie die Versorgung der Patienten gefährdet sahen. Im Laufe der folgenden kontroversen Debatte über Engpässe wurde immer deutlicher, dass der immense Kostendruck auf Generika im Arzneimitteleinkauf der Kliniken eine Ursache von Engpässen ist, da Unternehmen bestimmte Arzneimittel nicht mehr anbieten können.
In der Debatte wurden viele Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie man politisch mit Engpässen umgehen sollte. Vor allem wurde und wird immer wieder gefordert, dass über Engpässe frühzeitig informiert werden sollte.
Information über Engpässe bei versorgungskritischen Arzneimitteln sind wichtig
Auch im Pharmadialog war man sich einig, dass Unternehmen über Engpässe bei versorgungskritischen Arzneimitteln informieren sollen. Das unterstützen wir. Dafür erstellt das BfArM eine Liste versorgungskritischer Wirkstoffe. Es darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Information über einen Engpass den Engpass selbst nicht verhindern kann.
Gutes Engpassmanagement bringt alle Versorgungsakteure an einen Tisch
Tritt ein wirklicher Engpass auf, sollte es einen Mechanismus geben, der alle an der Versorgung beteiligten Akteure zusammenführt. Im Fokus stehen dabei kurzfristig greifende Maßnahmen, die helfen sollen, negative Auswirkungen von Engpässen auf die Versorgungssicherheit der Patienten zu vermeiden bzw. abzumildern. Mit dem „Jour Fixe“ des BfArM, der ebenfalls ein Ergebnis des Pharmadialogs ist, wurde ein solcher Mechanismus in Deutschland eingeführt. Aber auch hier gilt: So wichtig gutes Engpassmanagement ist, es kann Engpässe nicht vermeiden.
Das Problem bei seinen Wurzeln packen
Es muss also vor allem darum gehen, Engpässe am besten gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei gibt es allerdings kein „one-size-fits-all“-Instrument und das Entstehen von Engpässen lässt sich auch nicht vollständig verhindern.
Klar ist aber auch: Wenn sich alle Akteure der Lieferkette jeweils ausschließlich betriebswirtschaftlich rational verhalten, sind Engpässe im Prinzip eine denklogische Folge. Daher müssen alle Akteure an einen Tisch – und vor allem ihre Verantwortung für Versorgung wahrnehmen.
Literatur