Statements der Verbände
Dr. Kai Joachimsen |
Spätestens mit der Coronapandemie ist die zentrale Bedeutung der Arzneimittel für die Gesunderhaltung des Einzelnen und die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft noch deutlicher geworden. Unsere Branche hat in der Krise im wahrsten Sinne des Wortes geliefert: Mit der historisch einmalig schnellen Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen – aber auch mit der Sicherstellung der Arzneimittelproduktion und -versorgung.
Gleichzeitig müssen pharmazeutische Unternehmen ihre Wertschöpfung hierzulande immer weiter verkürzen, was die Lieferketten gleichermaßen verlängert – und damit letztlich die Versorgungssicherheit gefährdet. Die Coronakrise lehrt uns, dass das Gegenteil richtig ist: Mehr Wertschöpfung in Deutschland und Europa, die wiederum die Lieferketten verkürzt. Doch das ist aktuell nicht möglich, denn es fehlt eine strukturierte Industrie- und Standortpolitik.
Ampel-Signale auf Zukunft schalten
Die neue Bundesregierung hat nun die Aufgabe, genau diese Rahmenbedingungen nachhaltig für unsere Industrie zu schaffen. Wir freuen uns einerseits über im Koalitionsvertrag aufleuchtende Signale, die eine Stärkung des Pharmastandortes Deutschland ermöglichen sollen. Auch begrüßen wir das Ziel der Entbürokratisierung. Gleichzeitig bedauern wir, dass der neuen Koalition die Einsicht fehlt, dem Einfrieren der Arzneimittelpreise nach mehr als 11 Jahren endlich ein Ende zu bereiten. Das Preisgefüge gerade bei patentfreien Arzneimitteln in der breiten Versorgung ist mittlerweile so niedrig, dass immer mehr Therapien vom deutschen Markt verschwinden oder wesentliche Herstellungsschritte oft nur noch in Niedriglohnstaaten erfolgen können. Dieser Trend wird aktuell beschleunigt. Hier setzt die neue Koalition falsche Signale.
Die geplanten Änderungen des AMNOG sind ebenfalls nicht visionär, sondern gefährden die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln. Neue Arzneimittel müssen in Deutschland auch weiterhin schnell verfügbar sein. Die Bundesregierung sollte vielmehr die Rabattpolitik der letzten Jahre im Laufe der Legislaturperiode dringend korrigieren. Mit Preismoratorien, Zwangsrabatten, ruinösen Rabattverträgen und Festbeträgen sowie automatischen Substitutionsregeln bei gleichzeitig ständig steigenden und kostenverursachenden Anforderungen lässt sich der Pharmastandort nicht stärken. Innovative Forschung, umweltgerechte Produktion und verlässliche Lieferketten kann man nicht mit Rabatten finanzieren.
Einseitige Kostendiskussion
Das alles zeigt: Leider werden Arzneimittel, Impfstoffe und Medizinprodukte immer noch zu häufig als belastender Ausgabenfaktor für das Gesundheitssystem betrachtet. Dabei ist es eine belastbare Tatsache, dass sie nur einen relativ kleinen und seit Jahren stabilen Anteil an den Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung und am Bruttoinlandsprodukt ausmachen.
Zudem hat jede erfolgreiche Arzneimitteltherapie einen unmittelbaren Effekt auf die Senkung der krankheitsbedingten Folgekosten, wie z. B. die Senkung von Arbeitsausfallzeiten oder die Verkürzung von Krankenhausaufenthalten. Das beste Beispiel dafür ist der erfolgreiche Einsatz der Corona-Impfstoffe.
Es ist Zeit, Arzneimittel als Investitionen in Gesundheit, Sicherheit und Wohlstand zu begreifen. Was dazu nötig ist, haben wir in unserem „Masterplan Pharma“ zusammengetragen:
1. Für die Innovationen
Kein Patient soll wegen Preisverhandlungen der Krankenkassen auf zugelassene Therapien warten müssen. Der schnelle Zugang zu innovativen Arzneimitteln muss erhalten bleiben, z. B. über erfolgsabhängige Erstattungsmodelle. Wir brauchen den Ausbau der Forschungsförderung. Die bestehenden Zwangsrabatte auf Arzneimittel gehören dringend abgeschafft. Patienten mit seltenen Erkrankungen haben das gleiche Recht auf eine bestmögliche Versorgung und müssen weiterhin Zugang zu neuen Therapieoptionen erhalten. Eine Kostendämpfung würde diese Patientengruppe abhängen.
2. Für die Produktion
Die Pandemie hat deutlich gezeigt, wie wichtig stabile Produktions- und Lieferbedingungen für die Versorgung sind. Es muss Unternehmen ökonomisch möglich sein, wesentliche Schritte der Produktion in Deutschland und Europa durchführen zu können. Durch Kostendämpfungsinstrumente wie die Rabattverträge der Krankenkassen entstehen zunehmend Preise, die für Hersteller nicht mehr auskömmlich sind. Das erschwert die Entwicklung von Innovationen auf Basis bewährter Wirkstoffe und lässt die Anbietervielfalt schrumpfen. Um dem entgegenzuwirken, fordern wir zumindest Ausschreibungen erst ab 4 Marktteilnehmern, eine zwingende Mehrfachvergabe und eine Berücksichtigung des Pharmastandortes Europa – ohne dabei globale Lieferketten in Frage zu stellen.
3. Für den Standort
Die Pharmaindustrie in Deutschland ist vielerorts mittelständisch geprägt. Gerade die Weiterentwicklung bekannter Wirkstoffe bietet ein großes Potenzial. Diese Art von Forschung muss ermöglicht und gestärkt werden.
4. Für die Versorgung
Patienten benötigen neben Therapiefreiheit und -vielfalt auch mehr Mitbestimmung – und zwar bei allen Arzneimitteln. Dazu zählen sowohl der Zugang zu neuartigen Therapien durch beschleunigte Verfahren bei Zell- und Gentherapien im stationären Bereich als auch zu pflanzlichen, homöopathischen und anthroposophischen Arzneimitteln.
Bei der Zahl der produzierten Biopharmazeutika (Originalprodukte und Biosimilars) hat Deutschland europaweit die Spitzenposition inne. Durch kurzfristige Sparmaßnahmen, wie die vorgesehene automatische Substitution von Biopharmazeutika in der Apotheke, wird dieser Vorsprung gegenüber anderen Staaten zunichte gemacht, die Therapiefreiheit des Arztes eingeschränkt und so der therapeutische Erfolg gefährdet. Daneben ist eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel eine Möglichkeit, das Gesundheitssystem zu entlasten und die Sozialgarantie einzuhalten. Diese Absenkung darf jedoch nur im Zusammenspiel mit einer Beendigung des Preismoratoriums und vor allem auskömmlichen Bedingungen bei den Rabattverträgen erfolgen, da sie sonst weitere Verwerfungen im schwierigen Markt der generischen Versorgung schaffen würde.
5. Für die Selbstmedikation
Die Apothekenpflicht für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ist unabdingbar, da auch diese Medikamente der fachkundigen, persönlichen Beratung bedürfen. Bei pflanzlichen Arzneimitteln ist eine Anpassung der Erstattungs- und Dossierpflicht im Zeitraum der vorübergehenden Verschreibungspflicht erforderlich.
Daneben muss die Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf alle Kinder und Jugendlichen bis zum Beginn der Volljährigkeit erweitert werden. Diese sollte auch für Schwangere und weitere Patientengruppen, wie multimorbide Personen, angepasst werden. Auch die Möglichkeit der Erstattung für alle apothekenpflichtigen OTC-Arzneimittel im Rahmen der Satzungsleistungen muss erhalten werden.
6. Für neue digitale Technologien
Die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie leisten mit ihrer langjährigen Erfahrung in Diagnostik, Behandlung, Heilung und Nachsorge auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens einen großen Beitrag. Zur Sicherstellung der optimalen Nutzung dieser Expertise braucht es verlässliche Rahmenbedingungen. Innerhalb sicherer Leitplanken lassen sich Gesundheitsdaten generieren, mithilfe derer die Forschung und Entwicklung patientenindividueller Arzneimitteltherapien verbessert werden und neue Therapiekonzepte entstehen.
Fazit: Eine Investition in die Zukunft
Der volkswirtschaftliche Nutzen der Erforschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln muss stärker anerkannt und honoriert sowie die gesamte Wertschöpfungskette konsequent gefördert werden, damit pharmazeutische Erzeugnisse gesamtgesellschaftlich wieder als das gelten, was sie sind: Investitionen in die Gesundheit der Menschen und krisenerprobter Garant zur Sicherung und Stärkung des Standortes Deutschland. Die Herausforderungen einer ökologischen Neuausrichtung der Gesellschaft und sichere Lieferketten lassen sich nur erreichen, wenn es dafür verlässliche Rahmenbedingungen und auskömmliche Preise für alle Arzneimitteltherapien gibt. Schließlich haben wir alle ein gemeinsames Ziel: Die passgenaue Gesundheitsversorgung der Menschen in Deutschland.