Statements der Verbände
Thomas B. Cueni |
Das Jahr 2016 begann mit einer guten Nachricht: In der ersten Januarwoche veröffentlichte das Bundesgericht ein Urteil zur Medikamentenpreisfestsetzung, in dem dieses u. a. festhielt, dass sich die dreijährliche Preisüberprüfung nicht ausschließlich auf den Auslandpreisvergleich (APV) abstützen darf. Vielmehr sei auch ein therapeutischer Quervergleich (TQV) einzubeziehen. Das Gericht hat damit ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, das vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) angefochten worden war. Interpharma ist erfreut über diesen Entscheid, denn er bestätigt im Wesentlichen das, was seit 2012 immer vertreten wurde: Dass nämlich die Preisüberprüfungen, die sich nur auf den APV abstützen, rechtlich nicht zulässig sind. Zwar bezog sich das Gerichtsurteil auf die Situation vor Mitte 2015, als bereits ein neues Preisfestsetzungsmodell in Kraft getreten war, das den therapeutischen Nutzen wenigstens zu einem Drittel in die Preisbildung einbezieht. Das BAG musste aber feststellen, dass auch dieses neue Modell den Anforderungen des Bundesgerichts nicht genügt. Entsprechend wurden die Preisverordnungen überarbeitet und im Juli letzten Jahres in die Vernehmlassung gegeben. Neu soll sowohl bei der Erstaufnahme in die Kassenpflicht wie auch bei der dreijährlichen Preisüberprüfung der APV und der TQV einbezogen werden – und zwar gleich gewichtet. Damit wird der therapeutische Nutzen im Vergleich zu heute endlich besser berücksichtigt.
Interpharma hat den Entwurf mit Ausnahme einiger Anpassungsvorschläge grundsätzlich begrüßt. Allerdings wird bedauert, dass nach wie vor keine Preisasymmetrie vorgesehen ist: Die Preise können damit auch im Falle eines schwächer werdenden Schweizer Frankens nur sinken, nicht aber steigen. Damit werden die Schweizer Preise trotz besserer Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens nach wie vor von der Preis- und Währungsentwicklung im Ausland abhängig sein, statt vom Nutzen für die Patienten, das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft.
Das neue System, über dessen genaue Ausgestaltung der Bundesrat voraussichtlich in den nächsten Wochen entscheiden wird, wird im Verlauf dieses Jahres in Kraft treten. Damit wird endlich wieder Rechtssicherheit für alle Beteiligten – Patienten, Behörden, Krankenversicherer und Pharmaunternehmen – herrschen. Zudem wird es in diesem Jahr im Herbst auch wieder eine Preisüberprüfungsrunde geben, nachdem es in den letzten beiden Jahren aufgrund der Überarbeitung der Preisbildungsmodalitäten keine Überprüfungsrunden gegeben hat. Dabei wird rund ein Drittel aller patentgeschützten, kassenpflichtigen Arzneimittel einer Preisüberprüfung unterzogen.
Langsamere Verfahren gefährden Zugang zu innovativen Arzneimitteln
Während das neue Preisbildungssystem positive Signale an die Patienten und den Pharmastandort sendet, müssen wir bedauerlicherweise feststellen, dass die Verfahren zur Aufnahme in die Kassenpflicht wieder länger dauern als die dafür in der entsprechenden Verordnung vorgesehenen 60 Tage nach Swissmedic-Zulassung. Nach einer Einigung zwischen der Pharmaindustrie und dem zuständigen Gesundheitsminister im Jahr 2013 konnte der Anteil der Gesuche, die innerhalb dieser Frist in den Grundversicherungskatalog aufgenommen werden, markant erhöht werden. Damals wurde wenigstens rund die Hälfte aller Gesuche innerhalb von 60 Tagen aufgenommen, was einer deutlichen Steigerung im Vergleich zur Situation vor der Einigung entsprach. Dieser erfreuliche Trend hat sich allerdings umgekehrt seit dem Inkrafttreten des neuen Preisfestsetzungssystems im Juni 2015: Seither werden nur noch knapp 30 % der Gesuche innerhalb der Frist bearbeitet.
Das hat entsprechend negative Auswirkungen auf den schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln. Die Zahlen sind beunruhigend: Von den seit 2013 von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) in beschleunigten Verfahren zugelassenen 76 innovativen Medikamenten, sind in der Schweiz bis heute lediglich 43 zugelassen. Davon sind wiederum nur gerade 26 kassenpflichtig. Abgesehen von den beschriebenen Problemen mit der langsamer gewordenen Aufnahme in die Kassenpflicht, gibt es also auch Probleme bei der Marktzulassung, speziell beim Verfahren zur Zulassung neuer Indikationen.
Zwar gibt es die Möglichkeit einer Vergütung im Einzelfall von zugelassenen Medikamenten, die aber (noch) nicht in der Kassenpflicht sind, allerdings ist dies mit viel Aufwand für alle Beteiligten verbunden und nicht alle Patientinnen und Patienten haben rechtsgleichen Zugang. Auch dieser Prozess wurde vom Bundesrat überarbeitet und zusammen mit den Änderungen der Preisbildung in die Vernehmlassung geschickt. So sollen die Krankenversicherer über die Vergütungshöhe einer nichtzugelassenen oder nicht vergüteten Therapie nach Absprache mit den Zulassungsinhabern entscheiden. Als Maximalpreis wird 90 % des Vergütungspreises vorgeschlagen. Interpharma begrüsst zwar, dass eine Verhandlungslösung vorgesehen ist, die innerhalb von zwei Wochen zu einem Entscheid führen soll. Allerdings ist ein fixer Höchstpreis problematisch, der Nutzen im Einzelfall soll über den Preis entscheiden. Zudem ist unklar, was geschieht, wenn sich Kassen und Hersteller nicht einigen können. Entsprechend fordert Interpharma einen Eskalationsprozess, wie beispielsweise ein Schiedsgericht. Sofern keine solchen Lösungen ergriffen würden, könnte sich die Situation im Vergleich zu heute sogar noch verschlechtern, was im Interesse aller Beteiligten verhindert werden muss.
Herausforderung Kombinationstherapien: Mehr Flexibilität im Preissystem
Während also das „normale“ Preisbildungssystem und die Regelung der Vergütung im Einzelfall überarbeitet werden und die Änderungen im Laufe des Jahres in Kraft treten werden, sind gerade auch im Bereich der Vergütung von Kombinationstherapien neue Ansätze basierend auf dem heutigen System gefragt. Denn es werden immer mehr solche Kombinationen auf den Markt kommen, aber das bisherige Preisbildungssystem ist dafür nicht vorbereitet, respektive ist zu wenig flexibel. Entsprechend haben einige Krankenkassen und Interpharma einen Dialog über die Kostenerstattung von innovativen Kombinationstherapien in der Onkologie aufgenommen. Kassen wie Industrie bekennen sich zum Prinzip, dass primär der Nutzen der einzelnen Arzneimittel in der jeweiligen Kombination für die Höhe der Vergütung maßgebend sein soll. Wenn der Mehrnutzen der Kombination geringer ist als der addierte Nutzen der einzelnen Medikamente, soll auch der Preis der Kombination tiefer sein. In einem solchen Fall müssen Rabatte ausgehandelt werden.
Erfreulich ist, dass das BAG in diesem Jahr in vier Fällen von Kombinationen neue und flexiblere Preismodelle angewandt hat und die Kombinationen in den Leistungskatalog aufgenommen hat. Allerdings stammen die Arzneimittel für diese Kombinationen jeweils von demselben Hersteller, was solche Lösungen einfacher macht. Schwieriger wird es, wenn die kombinierten Medikamente von verschiedenen Unternehmen stammen. In solchen Fällen ist es aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht möglich, dass sich die beteiligten Firmen auf einen Preis der Kombination einigen. Entsprechend fordert Interpharma, dass das BAG seine Rolle auch bei kombinierten Arzneimitteln, die von verschiedenen Firmen stammen, wahrnimmt und auch solche Kombinationen innerhalb von 60 Tagen nach Marktzulassung in die Kassenpflicht aufnimmt. Denn es ist unbestritten, dass es immer mehr solche Kombinationstherapien geben wird.
Positives nicht durch Negatives aufheben
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in diesem Jahr eine der großen Herausforderungen sein wird, das neue Preisbildungssystem umzusetzen und damit wieder Rechtssicherheit auch für die Unternehmen zu schaffen. Dem grundsätzlich positiv zu bewertenden neuen System, das den therapeutischen Nutzen besser berücksichtigt, stehen aber Probleme beim schnellen Zugang zu innovativen Therapien gegenüber, die dringend angegangen werden müssen. Schließlich muss vor dem Hintergrund von immer mehr Kombinationstherapien sowie von Medikamenten, welche in verschiedenen Indikationen mit unterschiedlichem Nutzen angewendet werden, das Preisbildungssystem flexibler werden, um den Zugang auch zu diesen Therapien zu gewährleisten.