Statements der Verbände
Henning Fahrenkamp |
2014 war kein leichtes Jahr. Bei der letzten Bundestagswahl gab es für uns einen Rest von Hoffnung, dass die staatlichen Zwangsmaßnahmen wieder zurückgeführt werden könnten. Aus der Union gab es ja im Vorfeld durchaus Äußerungen, dass die Maßnahmen auslaufen sollten. Geblieben ist aber nur ein verringerter Zwangsabschlag. Das Preismoratorium in seiner ganzen Härte blieb bestehen und von einem Inflationsausgleich will die Politik bis heute nichts wissen. Auf diesem Feld gibt es also auch Ende des Jahres 2014 wieder nur Ernüchterung und den guten Vorsatz für 2015, in unserem Kampf gegen diese staatlichen Zwangsmaßnahmen nicht nachzulassen.
Im Bereich der innovativen Arzneimittel ist die frühe Nutzenbewertung fast schon zum Alltag geworden. Ein Alltag aber, bei dem nicht vergessen werden darf, dass das System weiterhin Fehler hat. Dazu gehört mit Sicherheit, dass das IQWiG weiterhin beweist, dass es nicht um die bestmögliche verfügbare Evidenz geht, sondern das Institut auf den „heiligen Gral der Wissenschaft“ setzt und die Evidenz auf möglichst hohem Niveau fordert – ohne Rücksicht, ob dies möglich ist oder nicht. Indirekte Vergleiche werden weiterhin negiert und wenn man den Blick auf die erste Bewertung eines zugelassenen Kinderarzneimittels (PUMA) wirft, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Zwar billigt man in einer Teilpopulation einen erheblichen Zusatznutzen zu, vergibt also die Schulnote in der höchsten Kategorie, zugleich verweigert man aber in zwei Teilpopulation jeglichen Zusatznutzen. Dabei stellt die Zulassung eines Kinderarzneimittels als solches schon einen Zusatznutzen dar. Hier muss die Entscheidungsfindung des Gemeinsamen Bundesauschusses diese Besonderheit berücksichtigen, so dass die Weichen gestellt werden, um das Ziel „mehr zugelassene Kinderarzneimittel“ zu erreichen.
Pharmadialog: Ergebnisoffen aber ergebnisorientiert
Für das kommende Jahr wird der Pharmadialog prägend sein, der in diesem Jahr begonnen hat und bis dato vor allem auf Arbeitsebene vorbereitet wurde. Der interministerielle Dialog kann und soll eine Chance sein, um Produktion und Forschung dauerhaft in Deutschland zu halten und zu stabilisieren. Wir setzen darauf, dass der von der großen Koalition angebotene Pharmadialog zwischen Regierung, Wissenschaft und Industrie tatsächlich echte Ergebnisse zeitigen wird und dass die beteiligten Ministerien tatsächlich auch den Mut haben werden, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um Produktion und Forschung in Deutschland dauerhaft zu halten und die pharmazeutische Industrie zu stabilisieren. Als BPI sind wir ergebnisoffen in diesen Dialog gegangen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht Ziele haben und ergebnisorientiert in die Gespräche gegangen sind. Vorrangig geht es auch darum, die Problemfelder zu adressieren und auch der politischen Ebene deutlich zu machen, dass die Pharmaindustrie heterogen ist und es für diese Branche keine einfache Lösung gibt. Dabei kann man einige ernstzunehmende Probleme herausstellen.
Wie sicher ist die Versorgung?
Wenn wir die Produktion aus Deutschland weiter vertreiben und den industriellen Kern hier verlieren, laufen wir Gefahr, dass in einzelnen Situationen Arzneimittel bei uns knapp und damit die Versorgung nicht mehr sichergestellt werden kann. Eine Produktion in diesem Land ist immer nur dann möglich, wenn auch die Erstattung adäquat ist: Die Erstattung für das einzelne Arzneimittel. Gerade bei Alt-Originalen, also seit langem im Markt befindlichen Arzneimitteln für die es keinen generischen Wettbewerb gibt, aber auch bei Generika in Rabattverträgen haben wir ein Erstattungsniveau erreicht, das für ein deutsches und gerade für ein mittelständisches Unternehmen eine Produktion nicht mehr ermöglicht. Hier muss dauerhaft an einer Veränderung gearbeitet werden. Im Rabattvertragsbereich könnte dies eine Karenzzeit sein. Zudem müssen endlich kartellrechtliche Grenzen wirksam eingeführt und auch sanktioniert werden. Maximal 15 % Marktanteil dürfen die Kassen haben, wenn sie gemeinsam ausschreiben. Es muss hier eine zeitliche Entfernung der Ausschreibung aller Einzel- und Teildosen geben, so dass man eine größere Planungssicherheit bekommt. Wesentlich ist, dass wir eine Angebotsvielfalt im Bestandsmarkt brauchen. Wir müssen den Verzicht auf Ausschreibungen bei Arzneimitteln für lebensbedrohliche, schwerwiegende und seltene Erkrankungen sowie bei kritischen Indikationen und Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite endlich durchsetzen. Wenn es weniger als vier Anbieter im jeweiligen Marktsegment gibt, muss auf Ausschreibungen verzichtet werden. Für Arzneimittel ohne generischen Wettbewerb muss es hinsichtlich der Zwangsmaßnahmen umgehend zu Verbesserungen kommen. Und in Zukunft müssen wieder alle Rabatte vertraulich gehandhabt werden, sonst kommt es zu weiteren Rücknahmen aus dem deutschen Markt.
Fortschritt besteht eben aus einzelnen Schritten
Und im innovativen Bereich bauen wir einerseits immer mehr Hürden auf und andererseits unterstützen wir Unternehmen nicht so, wie es unsere europäischen Nachbarn tun. Wichtig ist aber beim Thema Innovation und Forschung, dass auch verstanden wird, dass Fortschritt schon im Wort den „Schritt“ innehat. Es geht also auch um die wertvolle Forschungsleistung der Weiterentwicklung von bewährten Wirkstoffen.
Doch im SGB V geht es beim Nutzen immer nur um neue Wirkstoffe. Völlig verkannt wird immer wieder, dass auch kleine Veränderungen einen deutlichen Mehrwert für die Patientinnen und Patienten haben können. Und dass dieser Mehrwert sehr häufig auch eine deutliche Effizienzsteigerung in der Versorgung mit sich bringt. Aber dieser Fortschritt wird negiert. Er wird gleichgesetzt mit Stillstand oder als Scheininnovation diskreditiert. In keinem anderen Wirtschaftssegment ist das so. Wenn man einen Blick auf die Lebenswirklichkeit der pharmazeutischen Industrie wirft, dann stellt man sehr schnell fest, dass das Gros der pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland genau diesen Fortschrittsgedanken betreibt – bewährte Wirkstoffe, bewährte Arzneimittel immer besser machen.
Was sich ändern muss, sind die Rahmenbedingungen für uns. Wir als BPI fordern hier einen Unterlagenschutz von mindestens fünf Jahren für zulassungsrelevante neue Daten. Und wenn man sich auf die Erstattungsfrage bezieht, dürfen diese Arzneimittel, die Ergebnis eines Forschungsprozesses sind, nicht automatisch in Festbetragsgruppen eingeordnet werden. Diese Festbetragsgruppen, häufig der Stufe Eins oder Zwei, machen ja deutlich, dass man den Fortschritt außer Acht lässt und negiert.
Zudem ist es dringend erforderlich hier ein Austauschverbot einzuführen. Wenn diese Arzneimittel, die einen deutlichen therapeutischen Vorteil für Patientinnen und Patienten bieten, gegen wirkstoffgleiche Arzneimittel in der Apotheke ausgetauscht werden können, gibt es keinerlei Anreize und keine wirtschaftliche Grundlage für die pharmazeutische Industrie mehr, an bewährten Wirkstoffen weiter zu forschen. Wenn die Politik aber tatsächlich, wie im Dialog angekündigt, den Standort Deutschland für Forschung und Produktion stärken will, dann gilt das auch für die Forschung an bewährten Wirkstoffen.
Forschungsförderung: Die unendliche Geschichte
Die Forschungsförderung in Deutschland ist nicht ausreichend. Wenn Forschungsförderung in diesem Land tatsächlich gewollt ist, muss sie auch für die pharmazeutische Industrie auf die Belange, auf die Bedürfnisse und auf die Struktur der Industriezweige angepasst werden. Unsere europäischen Nachbarn machen es vor. Und klar ist auch, produziert wird in den Ländern, in denen geforscht wird. Und wenn wir den Forschungsstandort gerade für den Mittelstand verlieren laufen wir Gefahr, dass wir auch die Produktion verlieren. Wir müssen insbesondere den Raum für unseren Mittelstand vergrößern, auch das gehört zur Versorgungssicherheit. In vielen Bereichen haben wir auch im pharmazeutischen Bereich „hidden champions“, die unbekannten Weltmarktführer, die innovativen Hersteller, z. B. von pflanzlichen Arzneimitteln. Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen sind nur eines der Segmente, in dem Deutschland als Standort führend ist. Patientinnen und Patienten nutzen diese Arzneimittel. Wir müssen bei rechtlichen Vorgaben sauber differenzieren zwischen Selbstzahler- und GKV-Markt. Dies muss sich aber auch in staatlichem Handeln wiederfinden, sonst zerstören wir die Basis für diese Industrie. 2015 muss ein Jahr sein in dem man die Weichen stellt, um die Versorgungssicherheit auch im Jahr 2020 noch zu gewährleisten.