Was wir für Generika aus der Krise lernen können
Statements der Verbände
Bork Bretthauer |
Als im März des vergangenen Jahres die COVID-Pandemie ihren Anfang nahm, richteten sich bange Blicke Richtung Generikaindustrie. Würden jetzt wie in den massiv von der Pandemie betroffenen Nachbarländern die Arzneimittel knapp? Würden die Wirkstoffe etwa aus Indien und China trotz Grenzschließungen und Exportstopps ihren Weg zu uns nach Deutschland finden? Würden die Generikahersteller unterbrochene Produktionen oder ausgefallene Zulieferungen kompensieren und die sich z. T. massiv bevorratenden Patienten weiter zuverlässig versorgen können?
Die Antwort war ja. In dieser Zeit zeigte die Generikaindustrie, dass sie ihre Herkulesaufgabe, knapp 80 % der Versorgung zu sichern, auch in Ausnahmesituationen meistert. Gemeinsam mit den zuständigen Behörden, vor allem mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die sich in der Krise flexibel und pragmatisch zeigten, gelang es, das Schlimmste abzuwenden: den Versorgungsengpass.
Und das nicht nur im ambulanten Bereich. Auch auf den Intensivstationen der Krankenhäuser reichten die Arzneimittel. Von den 71 Wirkstoffen, die zur Beatmung eines COVID-Patienten benötigt werden, sind 69 generisch. Keiner davon wurde knapp, was zeigt: Generikaunternehmen haben bislang dafür gesorgt, dass Deutschland in der Pandemie gut versorgt war und ist.
Die Arzneimittel reichten in der Krise – also ist alles gut?
Können wir uns deshalb entspannt zurückgelehnt auf die Stabilität der Versorgung verlassen? Die Antwort ist nein. Denn dass bislang alle Patienten versorgt werden konnten, ist das Ergebnis eines außerordentlichen Kraftakts. Er hat die Firmen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gebracht und das kann keine Blaupause für den Normalzustand sein. Es war knapp. Und es hätte auch schiefgehen können.
Jetzt in der zweiten Welle ist das Gesundheitssystem besser aufgestellt. Die Generikaunternehmen haben viel getan, um sich zu wappnen – auch wenn das Gesundheitsministerium den Firmen keine Abnahmegarantien für Arzneimittel der Intensivmedizin geben wollte, was den Unternehmen eine planbare Produktion und noch größere Bevorratung ermöglicht hätte. Stattdessen wurde den Klinikapotheken aufgegeben, größere Vorräte anzulegen. Erst der weitere Verlauf der Pandemie wird zeigen, ob das ausreicht.
Fest steht: Langfristig wird das nicht genug sein. Denn die Ursachen für eine immer instabiler werdende Versorgung liegen nicht in der COVID-Krise. Sie liegen tiefer.
Dem Problem an die Wurzeln gehen – das plant Spahn!
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das erkannt. Versorgungssicherheit war eines seiner Themen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Spahn weiß, dass die Abwärtsspirale bei den Generikapreisen ein Niveau erreicht hat, das für die dauerhafte Stabilität der Versorgung gefährlich geworden ist. Er ist sich bewusst, dass der Kostendruck bei Arzneimittelwirkstoffen zu einer immer stärkeren Abhängigkeit Europas von einigen wenigen Herstellern in Asien geführt hat, was eine Pro-Generika-Studie zuletzt belegt hat.1) Und er hat sich vorgenommen, das Problem bei den Wurzeln zu packen. Es sei nicht gut, wenn sich in China entscheide, ob wir in Berlin die notwendige Schutzausrüstung für unser medizinisches Personal hätten, sagte er bei der Pro-Generika-Veranstaltung „Für ein gesundes Europa“ im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft. Das Gleiche gelte für Wirkstoffe.
Was ist seitdem passiert und was wird – unter dem Eindruck der globalen Gesundheitskrise – nunmehr geschehen? Zunächst habe, so Spahn auf der Konferenz, der Beirat des BfArM besonders relevante Wirkstoffe benannt, die perspektivisch wieder in der EU produziert werden sollten. Über deren Produktionsstätten solle nunmehr zunächst Transparenz hergestellt werden. Außerdem müsste die internationale Beobachtung zur Qualitätskontrolle besser koordiniert werden. Ferner sollten Lieferketten diversifiziert und von staatlicher Seite weitere Anreize für den Erhalt, Ausbau und die Rückverlagerung der Wirkstoffproduktion geschaffen werden. Es dürfe bei den Ausschreibungen nicht allein um den günstigsten Preis gehen und dafür sei u. U. auch eine Änderung des Vergaberechts nötig. Welche Instrumente aber schließlich gewählt würden – da verwies er auf die pharmaceutical strategy der EU-Kommission, deren Umsetzung in europäisches Recht und nationale Gesetze aber eher Jahre als Monate in Anspruch nehmen werden.
Nach Brüssel schauen – und was dann?
Den Blick nach Brüssel zu wenden, ist daher nicht genug. Zu langwierig sind hier die Prozesse. Zu akut die Gefahr für die Versorgungssicherheit, als dass wir tatenlos abwarten könnten.
Ein erster Schritt muss sein, den Standort Deutschland und Europa mit seiner ganzen Produktionskompetenz im Bereich Arzneimittel, Biotech und Impfstoffe zu erhalten und zu stärken. Teilweise findet das bereits statt: 750 Mio. Euro sind bereits in die Impfstoffforschung und -produktion in Deutschland geflossen – auch wenn es vor allem private Geldgeber waren, die den Erfolg der Biotechunternehmen BioNTech und CureVac ermöglicht haben. In Österreich wurden 50 Mio. Euro in den Erhalt der letzten vollständigen Antibiotikaproduktion in der westlichen Welt investiert, zusätzlich nimmt das Unternehmen Sandoz 100 Mio. Euro selbst in die Hand, sodass der Standort in Tirol für 10 Jahre gesichert ist.
Diese Ansätze auf der Angebotsseite aber brauchen ihr Pendant auf der Nachfrageseite. Daher müssen zweitens, und anknüpfend an die Statements des Ministers, Modifikationen des Ausschreibungssystems der Krankenkassen folgen. Hier darf es nicht mehr nur um den günstigsten Preis gehen, denn die dadurch ausgelöste Abwärtsspirale hat überhaupt erst zu Abwanderung und Marktverengung auf Herstellerseite geführt.
Ein Unternehmen, das „Hauptsache billig“ sein muss, hat keinen Spielraum für Maßnahmen, die die Liefersicherheit erhöhen. Auch wenn der Preis das Wesen von Ausschreibungen per se ist, müssen wir weitere Kriterien definieren. Nur so sind Maßnahmen für robustere Lieferketten – sei es eine zweite Wirkstoffquelle, ein europäischer Produktionsstandort oder eine Diversifizierung der Zulieferer – auch wirtschaftlich darstellbar. Dasselbe gilt übrigens für Maßnahmen zugunsten von mehr Umweltschutz.
Im Sinne der Versorgungssicherheit ist es zudem unerlässlich, dass Ausschreibungen grundsätzlich in einem Mehrpartnermodell stattfinden. Und bei versorgungskritischen Wirkstoffen sollte es überhaupt keine Ausschreibungen geben dürfen.
Substitution von Biologika – wiederholt sich hier die Geschichte?
Und während bei den Generika nunmehr Politik, Industrie und sogar einzelne Krankenkassen darüber nachdenken, wie sich die Fehler der Vergangenheit ausbügeln lassen, hat bei den Biosimilars ein Prozess begonnen, der in eine ähnliche Richtung verweisen könnte wie bei den Generika. Die im Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung (GSAV) für 2022 festgeschriebene Austauschbarkeit von biologischen Arzneimitteln in der Apotheke hat das Potenzial, die Versorgungsicherheit auch bei Biopharmazeutika zu gefährden. Hier erfüllen Biosimilars derzeit vorbildlich ihren gesundheitspolitischen Zweck. Sie führen zu Wettbewerb und sinkenden Preisen. Sie durchdringen den Markt im Rekordtempo – und wichtiger noch: Sie verbessern die Versorgung von Patienten, wie ein aktuelles Versorgungsforschungsprojekt von Pro Generika und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns aufzeigt. Wer jetzt auch in diesem Bereich – ohne Not – den Kostendruck massiv erhöht, wird erreichen, dass sich Unternehmen aus der Versorgung wieder zurückziehen und auch hier Anbieter aus Ländern wie China oder Indien auf den Markt drängen. Engpässe scheinen vorprogrammiert. Und das in einem Bereich, in dem schwere Indikationen behandelt werden und eine stabile Therapie – nicht zuletzt aufgrund der pharmakologischen Besonderheiten biologischer Arzneimittel – für die Patienten unerlässlich ist.
Die Folgen dieses Prozesses für die Versorgungssicherheit bei den Generika haben wir in den letzten Jahren beobachten müssen. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir jetzt massiv gegensteuern müssen. Bei den Biosimilars können wir jetzt noch umdenken – damit solch aufwendige und tiefgreifende Korrekturen zu einem späteren Zeitpunkt gar nicht erst nötig werden.
Verweise
1) | MundiCare Lifescience Strategies: Woher kommen unsere Wirkstoffe? Eine Weltkarte der API-Produktion, 2020. |