Statements der Verbände
Dr. Jan Oliver Huber |
2011 war ein Jahr des Wandels und der Weichenstellungen für die pharmazeutische Industrie in Österreich. Die Verlängerung des Rahmen-Pharmavertrages war ein weiterer Meilenstein in den Beziehungen zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen. Diese Verlängerung stand und steht vor dem Hintergrund einer sehr moderaten Marktentwicklung. 2011 werden die Arzneimittelausgaben deutlich unter der Inflationsrate steigen und für die nächsten Jahre sind keine signifikanten Steigerungen zu erwarten. Scheinbar in Schwung gekommen ist die Debatte über eine grundsätzliche Reform des Gesundheitswesens samt Kostendämpfungs-Zielen auch im stationären Bereich, der weiterhin sehr dynamisch wächst. Sparpotenziale zwischen 1,8 und 3 Mrd. Euro kursieren. Es wird bei dieser Debatte auch eine Diskussion über verkrustete Strukturen vonnöten sein, die angesichts der Größe unseres Landes und der allgemeinen Schuldenkrise und einhergehender Sparzwänge nicht länger aufgeschoben werden darf.
Verlängerung des Rahmen-Pharmavertrags
Der seit 2008 bestehende Rahmen-Pharmavertrag wurde Mitte 2011 von Pharmaindustrie und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger um weitere viereinhalb Jahre verlängert. Der Vertrag hat zum Ziel, die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenkassen, insbesondere gegenüber den Patienten, zu unterstützen. Dafür wird von den pharmazeutischen Unternehmen und den Unternehmen des Pharmagroßhandels für die Vertragslaufzeit bis Ende 2015 ein Solidarbeitrag in Höhe von insgesamt 82 Mio. Euro geleistet. Davon wird ein Gesamtbetrag von 6,75 Mio. Euro für gemeinsame Gesundheitsziele zu den Themen Kindergesundheit und Prävention zweckgewidmet. Im Sinne einer besseren Planbarkeit für die Pharmawirtschaft wird vereinbart, dass bis zum 31.12.2015 keine gesetzlichen oder sonstigen neuen Maßnahmen zur Heilmittelkostendämpfung zu Lasten der pharmazeutischen Unternehmen bzw. des pharmazeutischen Großhandels in Kraft treten.
Im Vorfeld der Vertragsverlängerung konnte im Rechtsstreit zwischen Pharmig und Salzburger Gebietskrankenkasse über die rechtswidrige „Salzburger Medikamentenliste“ ein gerichtlicher Vergleich erzielt werden. Darin verpflichtet sich die Krankenkasse, es zu unterlassen, Arzneimittellisten zu verwenden, die von den vom Hauptverband auf Grundlage des Erstattungskodex rechtskonform erstellten, bundesweit einheitlichen Unterlagen abweichen.
Gesundheitsziele
Die in der Verlängerung des Rahmen-Pharmavertrages vereinbarten gemeinsamen Gesundheitsziele zwischen Pharmawirtschaft und Krankenversicherung werden von einem paritätisch besetzten Gremium umgesetzt. Nach dessen Konstituierung im vergangenen Herbst ist im ersten Halbjahr 2012 mit den ersten beschlossenen Projekten zu rechnen; dabei kommt dem Themenschwerpunkt Kindergesundheit erste Priorität zu. Gemeinsames Ziel der Vertragspartner ist es, mit den begrenzten, aber doch erheblichen Mitteln „Leuchtturmprojekte“ durchzuführen, die der Politik und anderen Partnern im Gesundheitswesen Handlungsnotwendigkeiten aufzeigen. Diese europaweit wohl einzigartige, partnerschaftliche Initiative ergänzt die Bemühungen der staatlichen Gesundheitspolitik, die 2011 ebenfalls den Startschuss für die Formulierung nationaler Rahmen-Gesundheitsziele bis Sommer 2012 gegeben hat.
Innovationsgespräche
Ein weiterer „Spin-off“ der Verlängerung des Rahmen-Pharmavertrages ist die Vereinbarung von Innovationsgesprächen zwischen Pharmawirtschaft und Krankenkassen mit dem gemeinsamen Anliegen, die Versorgung der Patientinnen und Patienten in Österreich mit innovativen Medikamenten sicherzustellen. Dieser organisierte Meinungsaustausch zielt auf eine deutliche Verbesserung des Zugangs der Patientinnen und Patienten zu innovativen medikamentösen Therapien im Rahmen der Erstattung durch die sozialen Krankenversicherungsträger ab. Aus Sicht der Pharmawirtschaft stehen dabei grundlegende Probleme in Österreich an. Der Grundsatz „headroom for innovation“ hat sich aus unserer Sicht in den letzten Jahren nicht realisiert. Das derzeit gelebte Erstattungssystem schließt eine Vielzahl an innovativen Medikamenten von der Erstattung aus, die somit den Versicherten nicht zur Verfügung stehen. Dieser Umstand kann gemeinsam gelöst werden, indem Krankenkassen und Pharmawirtschaft systemimmanente Barrieren identifizieren und einer Lösung zuführen.
Reformen im Gesundheitswesen?
Im Vorjahr haben wir die vorsichtige Hoffnung geäußert, das außergewöhnliche Zeitfenster 2011 bis 2013 mit Abwesenheit jeglicher relevanter Wahl auf Bundes- oder Landesebene könnte dafür genützt werden, substanzielle Staatsreformen anzugehen, inklusive des Gesundheitswesens. Davon ist nach einem Jahr noch nicht viel zu erkennen. Der Masterplan Gesundheit des Hauptverbands ist offenbar still und leise in einer der vielen Schubladen verschwunden. Notwendige Schritte etwa zu einer effizienteren und nationalen Planung und Steuerung der Krankenhauskapazitäten wurden bisher nicht unternommen. Ein grundsätzlich diskussionswürdiger Vorschlag für eine elektronische Gesundheitsakte (ELGA), der zu besserer und systematischer Behandlungsqualität und erhöhter Patientensicherheit beitragen könnte, versinkt in partei- und standespolitischen Grabenkämpfen und katastrophaler Kommunikation. Angesichts der drängenden Probleme der Schuldenkrise und der in allen Bereichen zu erwartenden Sparzwänge ist eine grundlegende Strukturreform unausweichlich. Immer weniger lässt sich dabei rechtfertigen, warum ein Land mit gut 8 Mio. Einwohnern 35 Krankenversicherungsträger mit Pflichtmitgliedschaft benötigt. Oder warum eine Leistungserbringung nicht ausschließlich anhand des Patientenbedarfs, sondern oftmals durch Hin- und Herverschieben durch Kostenträger zwischen stationärem und niedergelassenem Sektor entschieden wird. Die österreichische Pharmaindustrie steht zukunfts- und bedarfsorientierten Reformbemühungen, die eine langfristige Sicherung eines solidarischen und höchsten Qualitätsansprüchen genügenden Gesundheitssystems erlauben, aufgeschlossen gegenüber. Lösungskompetenz und innovative Ansätze hat unsere Branche schließlich schon ausreichend bewiesen.
Europäische Dimensionen
2012 wird einmal mehr verdeutlichen, dass lediglich ein Teil der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen noch in rein nationaler Verantwortung gestaltet werden kann – trotz eindeutiger Kompetenzverteilung im EU-Vertrag. Einerseits sind für unsere Industrie bedeutsame Umsetzungsgesetze bereits verabschiedeter EU-Richtlinien zu erwarten. Die Richtlinie über Arzneimittelfälschungen wird in ihrer Implementierung in den kommenden Jahren neue Regelungen für die Pharmaindustrie bringen, die zum Teil erheblichen Aufwand und Kosten verursachen werden. Ebenso herausfordernd wird die praktische Umsetzung der neuen EU-Pharmakovigilanz-Regelungen sein.
Andererseits wird ein Schwerpunkt 2012 für unsere Unternehmen und uns als Verband auf der innovationsfreundlichen und lebensnahen Ausgestaltung von neuen EU-Regelungen liegen. Der Richtlinienvorschlag über Patienteninformation sollte endlich Rechtssicherheit für werbefreie, objektive Information der Patienten auch durch jene bringen, die am besten über ihre Produkte Bescheid wissen: die Arzneimittelhersteller. Ein weiteres Mammutprojekt in Brüssel ist die Komplettrevision der Transparenzrichtlinie. Diese seit 1989 unverändert bestehende Regelung stellt rechtsstaatliche und verfahrensrechtliche Mindestkriterien für die Aufnahme von Arzneimitteln in die Erstattung auf, denen manche Mitgliedstaaten, einschließlich Österreichs, bisweilen gerne entkommen würden.
Ausblick
Die Pharmawirtschaft wird auch im Jahr 2012 ihrem Auftrag, innovative und bewährte Arzneimittel für die Patienten verfügbar zu machen, nachkommen. Trotz schärferer Bedingungen investieren die pharmazeutischen Unternehmen kräftig in Forschung und Entwicklung und sind dabei europaweit Vorreiter aller Branchen. Wir haben unverändert herausfordernden Rahmenbedingungen mit weiteren Patentabläufen, damit verbundenen massiven Preissenkungen und unsicheren wirtschaftlichen Aussichten zu begegnen. Im abgelaufenen Jahr wurden mit unserer Initiative wichtige Weichenstellungen dafür gelegt. Die pharmazeutischen Unternehmen und die Pharmig werden weiterhin mit Engagement auf attraktivere Rahmenbedingungen für die Industrie, aber auch für die Patienten, die am Ende des Tages von der Therapie mit innovativen und bewährten Arzneimitteln profitieren sollen, hinwirken.