Große Koalition startet dennoch mit Kostendämpfung
Statements der Verbände
Bork Bretthauer |
Der Bundestagswahlkampf 2013 hat in gewisser Weise ein Novum erlebt: Das Thema Arzneimittel, in vergangenen Jahren mit großer Regelmäßigkeit ein zu öffentlicher Skandalisierung verleitender Dauerbrenner in Wahlkämpfen, spielte so gut wie keine Rolle. Das schlug sich auch in den Wahlprogrammen der politischen Parteien nieder.
Umso mehr könnte man nun überrascht sein, dass die neue Bundesregierung, die rekordverdächtig lange gebraucht hat, um sich das „Ja-Wort“ zu geben, in den allerersten Tagen ihres Bestehens ausgerechnet ein Arzneimittelkostendämpfungsgesetz auf den Weg bringt. Und das auch noch in einem Eilverfahren, das bislang nur in absoluten Ausnahmesituationen in der Geschichte der Bundesrepublik Anwendung fand, wie etwa anlässlich der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Schleyer oder im Zuge der aktuellen Eurokrise, als es immer wieder buchstäblich um Stunden ging.
Ein Notfall also, der die Regierung zu unverzüglicher Eile drängt? Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland hat einen bislang nie gesehenen Höchststand bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, was den Krankenkassen viel Geld in die Kassen spült. Und die deutsche Wirtschaft brummt weiter. Das führt dazu, dass das deutsche Gesundheitssystem zum Jahreswechsel 2013/2014 sage und schreibe 27 Mrd. Euro Überschuss hat.
Entsprechend mühselig fallen die Begründungen für das neue Spargesetz aus. Spätestens 2015 könne die GKV in ein Defizit rutschen. 2015? Zeigt nicht die Koalition aktuell, dass sie innerhalb weniger Tage in der Lage ist, Spargesetze auf den Weg zu bringen?
Das nun beschlossene Preismoratorium sorgt dafür, dass die Generikapreise bis Ende 2017 auf dem Niveau des Jahres 2009 eingefroren bleiben sollen. Zudem soll der Zwangsrabatt von 6 auf 7 % steigen. Begründet wird das damit, dass die GKV einen „in der Wirtschaft üblichen Großkundenrabatt“ erhält. Wo bitte ist in der Wirtschaft ein Einfrieren von Preisen per staatliches Dekret über einen Zeitraum von acht Jahren üblich?
Das Mindeste, was daher aktuell zu fordern ist, ist dass nicht ausgerechnet Generika noch weiter zur Kassen gebeten werden, damit auf gesetzlich vorgesehene Preissenkungen auf patentgeschützte Arzneimittel verzichtet werden kann.
Generika – die wichtigsten Zahlen 2013
Generikaunternehmen haben in den vergangenen Jahren einen immer höheren Anteil an der Arzneimittelversorgung in Deutschland übernommen. Mehr als 73 % des gesamten Arzneimittelbedarfs der gesetzlichen Krankenkassen wird von Generikaunternehmen gedeckt.
Im Gegenzug haben die Krankenkassen seit Jahren immer weniger für diese Versorgung aufgewendet. Derzeit sind es real – also zu Werkspreisen und nach Abzug von Rabatten – weniger als 10 % der Arzneimittelausgaben der Kassen.
Der enorme Preisdruck auf Generika in Deutschland spiegelt sich auch bei der Entwicklung der Tagestherapiekosten wider: Betrugen diese 2005 22 Cent, so kostete eine durchschnittliche Tagestherapie mit einem Generikum 2012 lediglich 15 Cent. Und bei dieser Betrachtung sind die zusätzlichen Preisnachlässe, die Generikaunternehmen den Kassen in Rabattverträgen gewähren müssen, um deren Versicherte versorgen zu können, noch nicht einmal berücksichtigt.
Neben dieser Schere – immer weniger finanzielle Mittel für immer mehr Generikaversorgung – kommt eine dritte Entwicklung hinzu. In den vergangenen Jahren sind die regulatorischen Anforderungen an Generikaunternehmen erheblich gestiegen. Allein die neuen Vorgaben der EU-Arzneimittelfälschungsrichtlinie, die EU-Pharmakovigilanzrichtlinie sowie die neuen administrativen Vorgaben für die Einfuhr von Wirkstoffen in die EU bedeuten gewaltige zusätzliche Bürokratiekosten für Unternehmen.
Insgesamt resultiert daraus eine große Herausforderung für die nachhaltige Arzneimittelversorgung in Deutschland. Wenn Brüssel die regulatorischen Vorgaben immer weiter nach oben schraubt, die Kassen völlig losgelöst davon das Rabattsystem immer weiter forcieren und gleichzeitig Generikaunternehmen immer mehr Verantwortung für die Arzneimittelversorgung übernehmen sollen, fehlt ein gesamthafter Blick auf diese drei Entwicklungslinien, die völlig unabhängig und asynchron verlaufen. Gesundheitspolitikern muss klar sein, dass es eine jederzeit bedarfsgerechte Versorgung zu höchster Qualität und bei Preisen möglichst nahe Null nicht geben kann.
Systemfallen des Rabattvertragssystems treten zutage
Die Diskussion über Arzneimittelengpässe in Deutschland ist ein Symptom dafür, dass die Folgen dieser Entwicklungen langsam in das Bewusstsein der Öffentlichkeit drängen.
Engpässe haben viele Gründe. Sie reichen von dem Rückzug einzelner Hersteller aus einem bestimmten Wirkstoffmarkt über den Ausfall von Produktionsanlagen, den Wechsel eines Auftragsherstellers bis zu dem im Generikabereich immensen Preis- und Rabattdruck.
Gerade das Rabattvertragssystem, das weite Teile des Generikamarktes beherrscht, zeigt seine Fallen. Diese sind vor allem eine zunehmende Marktkonzentration, weil sich immer mehr Arzneimittelabsatz auf wenige Hersteller konzentriert. Hinzu kommen zunehmende Marktverzerrungen, wodurch die Mengenplanung für Generikaunternehmen erschwert wird.
Das scheinen auch einige Krankenkassen zu erkennen, die jedoch überwiegend versuchen, die Symptome zu kurieren. Viele vergeben Wirkstoffe in Rabattverträgen nicht mehr nur an einen, sondern an bis zu drei Unternehmen. Das allein ändert an dem Problem der für die Unternehmen dringend notwendigen Mengenplanung überhaupt nichts. Und wenn die Mengenplanung nicht zuverlässig vorgenommen werden kann, können Lieferengpässe nicht ausgeschlossen werden.
Darüber hinaus erhöhen die Kassen den Druck auf die Generikaunternehmen noch weiter, in dem sie drakonische Vertragsstrafen und Schadenersatzforderungen für den Fall der Lieferunfähigkeit vorsehen. Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen von Pro Generika belegen, dass die Schadenersatzforderungen eine Höhe erreichen können, die ein Vielfaches des gesamten Nettoumsatzes des betroffenen Wirkstoffs im Rabattvertrag betragen. Im Ergebnis müssen sich Unternehmen umso gründlicher mit der Frage beschäftigen, ob sie sich unter diesen Bedingungen an Rabattvertragsausschreibungen beteiligen.
2013 hat eine neue Dimension gesehen: Erstmals hat ein weltweit führendes Generikaunternehmen mit Sitz in Indien angekündigt, sich aus dem deutschen Rabattvertragssystem zurückzuziehen. Es ist nicht lange her, da haben Vertreter der AOK Generikaunternehmen, die in Deutschland in Produktionsanlagen investierten, gesagt, dass man das doch im Hinblick auf die vermeintlich bessere Wettbewerbsfähigkeit in Indien tun sollte. Dieser „Rat“ wurde von der Realität längst überholt.
Nachhaltiger Wettbewerb ist die Lösung
Fällt diese Analyse insgesamt für viele ernüchternd aus, stellt sich die Frage nach der Lösung. Pro Generika hat vor einiger Zeit bereits Partei für eine rabattvertragsfreie Wettbewerbsphase ergriffen. Diese müsste unmittelbar nach dem Patentablauf beginnen und wäre davon gekennzeichnet, dass für einen Zeitraum von beispielsweise 24 Monaten keine Rabattverträge ausgeschrieben werden. Die Vorteile einer solchen Wettbewerbsperiode liegen auf der Hand. Es entsteht eine Vielfalt der Generikaanbieter. Damit geht einher, dass die Arzneimittelpreise innerhalb kurzer Zeit stark sinken, was zu erheblichen Einsparungen bei den Kassen führt – bei vielen Wirkstoffen sind Preisunterschiede von bis zu 90 % innerhalb von einigen Wochen zu beobachten. Hinzu kommt, dass über die Anbietervielfalt eine Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Anbietervielfalt und nachhaltiger Wettbewerb sind die wirksamsten Mittel gegen Arzneimittelengpässe.
Wurde von den Krankenkassen und den Publikumsmedien früher skandalisiert, dass Arzneimittel – auch Generika – in Deutschland „zu teuer“ seien, so wird nun „Skandal“ gerufen, wenn bestimmte Arzneimittel in Portugal teurer sind als in Deutschland, während für diese in Deutschland ein Engpass besteht. Preise allein schaffen keine Versorgungssicherheit. Aber es zeigt sich, dass alles seinen Preis hat – auch die Versorgungssicherheit.